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Symposium: Rassismus und Antisemitismus – Alltag in Europa?

Freitag, 22. November 2019, 15:00 bis 19:30 Uhr

Achtung Raumänderung:
IHK Frankfurt am Main, Ludwig-Erhard-Saal,
Börsenplatz 4, 60313 Frankfurt
Anfahrt: https://www.frankfurt-main.ihk.de/anfahrt_kontakt/

 


Am 22. November 2019 diskutierten die Expertinnen und Experten Dr. Reiner Becker (Philipps-Universität Marburg), Prof. Dr. Heiner Bielefeldt (Universität Erlangen-Nürnberg),  Prof. Dr. Hajo Funke (Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer (Universität Bielefeld), Dr. Ariel Muzicant (Europäischer Jüdischer Kongress (EJC)), Katharina von Schnurbein (Europäische Kommission) und Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schwarz-Friesel  (TU Berlin) am Center for Applied European Studies (CAES) zum Thema „Rassismus und Antisemitismus – Alltag in Europa?“. Die Fragen aus dem Publikum und die Podiumsdiskussion wurden jeweils moderiert von Bianca von der Au (hr-iNFO).

Die Vizepräsidentin der Frankfurt UAS, Prof. Dr. Martina Klärle, betonte die dringende Notwendigkeit, sich mit dem Thema Rassismus und Antisemitismus in Europa auseinanderzusetzen. Der Bildungsauftrag als Hochschule beinhalte, Studierenden zu vermitteln, dass dies keinen Platz in der Gesellschaft habe.

Der Geschäftsführende Direktor des CAES, Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, begann seine Begrüßung mit den Worten: „Die Demokratie ist bedroht, in Deutschland wie in Europa.“ Dies sei immer dann sichtbar, wenn Minderheiten in das Fadenkreuz der Bedrohung geraten. Vor dem Hintergrund des Ergebnisses der Umfrage der Anti-Defamation League - jeder vierte Europäer hat antisemitische Ansichten - rief Friedman dazu auf, darüber nachzudenken, wie Judenhass und Rassismus in allen Facetten analysierbar sei und wie er unter Umständen verändert werden könne.­

Als erster Referent stellte Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer das Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit vor. Diese entwickle sich vor dem Hintergrund von ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Krisen. Die individuellen Verarbeitungen solcher bedrohlichen Entwicklungen in Teilen der Bevölkerung führten auch zu autoritären Versuchungen, um neue Sicherheiten zu gewinnen. Dies geschehe in der Regel zulasten von Minderheiten. Insbesondere dann, wenn ein politisches Angebot in Form des "Autoritären Nationalradikalismus" der AfD agiere. Den Kern des Syndroms der Abwertung von Menschen allein aufgrund ihrer Gruppenbezogenheit mache immer eine Ideologie der Ungleichwertigkeit aus, die je nach gesellschaftlichem Konflikt neue Gruppen fokussiere. Diese klar verfassungsfeindliche Bewegung stelle ein zentrales, kollektives Problem für die Gesellschaft und die Demokratie dar, das nicht mit dem Bildungsstand in Verbindung gebracht werden könne. Heitmeyer verdeutlichte anhand eines Eskalationskontinuums, dass sich die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit entlang eines aufbauenden Kontinuums entwickle und sich entlang von Legitimationsbrücken (Rechtfertigungen an die Gesellschaft) radikalisiere. So könne sie sich letztendlich hin zu kleineren, radikalen Gruppen und terroristischen Zellen entwickeln. Da eine Normalisierung der Menschenfeindlichkeit bedrohlich, da nicht mehr problematisierbar sei, schloss er mit den Worten: „Wehret der Normalisierung!“

Es folgten Prof. Dr. Hajo Funkes Erkenntnisse zur Dynamik rechtsextremer Bewegungen. Zu Beginn seines Vortrags beschrieb Funke den derzeitigen Kampf von radikalisierenden Bewegungen und Bewegungsparteien gegen alle größeren ethnischen und religiösen Minderheiten als eine normal erachtete Radikalisierung. Diese zeige sich in drei Dimensionen: dem Angriff auf alle größeren und religiösen Minderheiten, der Tilgung der Erinnerung, und dies um zu einer autoritären Republik im Konzept einer ethnisch reinen Nation zu gelangen. Funke beschrieb einen radikalautoritären Nationalsozialismus, gemäß dem für Björn Höcke in dessen eigenen Worten eine „Politik der wohltemperierten Grausamkeit“ unausweichlich sei, um Millionen von Migranten zurückzuführen. Funke vermutete, dass nicht nur zu einer „ethnischen Säuberung“ aufgerufen werde, sondern auch zu einer politischen. Wenn diese verfassungsfeindlichen Positionen ernst genommen werden würde, wäre eine politische Kooperation mit der AfD undenkbar. Die Straftaten in einem „braunen Graubereich der Mischszene“ seien „dezentraler, spontaner, digitaler“ geworden. „Deshalb ist es vielleicht doch sinnvoll, das Konzept der wehrhaften Demokratie neu zu überdenken“. Funk rief abschließend dazu auf, geschlossener als bisher vorzugehen und auch zwischen Konservativen und Jugendbewegungen unter Einbezug der Medien ein Bündnis zu schließen, das auch in die Breite gehe.

Prof. Dr. Heiner Bielefeldt begannseine Ausführungen zur Antwort der Menschenrechte auf Rassismus und Antisemitismus, indem er eine Menschenrechtsnorm aus dem „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ (Art. 20 Abs. 2) der UN darlegte, die die Aufstachelung zu Hassakten und Verhetzung verbiete. Für Bielefeldt sei die rassistische Hassrede keine randständige Position, sondern ein Akt der Beendigung des demokratischen Streits und charakterisiere sich durch Entindividualisierung, Freiheitsfeindlichkeit und Absage an Gleichheit und Respekt. Angesichts der durch die UN im Aktionsplan „Rabat Clan of Action“ herausgestellten Verantwortung der Zivilgesellschaft pochte Bielefeldt auf eine Kultur der Zivilcourage. Zwar müsse das Strafrecht greifen, aber sein Beitrag könne nur begrenzt sein, da es Eindeutigkeit bedinge. Dahingegen müsse beim Antisemitismus zwischen den Zeilen gelesen werden. Abschließend zeigte Bielefeldt auf, wie bedeutsam eine Erinnerungskultur in der Öffentlichkeit sei. „Die Botschaft der Menschenrechte ist: Gleiche Würde, gleiche Freiheit für alle. Rassismus und Antisemitismus unterspült die Grundlage des Miteinanders in der diskursiven Demokratie und deshalb verlangt er die klare und entschiedene Zurückweisung im Namen einer wehrhaften Meinungsfreiheit. Und da sind wir alle gefordert.“

Zu Beginn seines Vortrags zeigte Dr. Ariel Muzicant auf, dass die Frage danach, ob es sich in Europa um einen importierten oder einen von links und rechts zusammenwachsenden Antisemitismus handle nicht zu beantworten sei. Er charakterisiere sich in jedem Land und in jeder Gemeinde anders. Dabei halte Muzicant einen Antisemitismus, der als Staatsterrorismus seitens des Irans zu definieren sei am besorgniserregendsten. Er zeige, dass der Nahostkonflikt massiv nach Europa getragen werde.

Obwohl derzeit 50-60 % der europäischen Juden besprächen aus Europa auszuwandern, gebe es noch keine große Auswanderungsbewegung. Zwar wurden verschiedene Maßnahmen gegen Antisemitismus in Europa ergriffen, es gebe aber eine Kluft zwischen den Eliten und Politikern auf der einen und der Zivilgesellschaft auf der anderen Seite. Wie schaffe man es, die Zivilgesellschaft zu erreichen? Muzicant plädierte dafür, den Diskurs zu verbreitern und eine für alle gleichermaßen gültige Definition des Antisemitismus in die Gesellschaft zu tragen. „Wenn der Antisemitismus weiter zunimmt, dann werden wir es wohl oder übel erleben, dass unsere Kinder noch in Europa leben werden, aber unsere Enkelkinder wahrscheinlich nicht mehr.“

Zuletzt folgte Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schwarz-Friesels Darstellung ihres Forschungsprojekts zum „Antisemitismus im World Wide Web“ (DFG). Sie stellte eingangs klar, dass sich Antisemitismen im Internet nicht im dark net, sondern durch normale Internetuser verbreiten. Dabei treffe ein deutlicher Anstieg der Userzahlen auf immer mehr Antisemitismen. Sie wurden den Stereotypen des klassischen, des Post-Holocaust und israelbezogenen Antisemitismus, als dominante Form, zugeordnet. Unverändert sei dabei das Basiskonzept, Juden als das Böse der Welt zu sehen. Schwarz-Friesel beobachte die Inflation einer Laienkommunikation und die Alltäglichkeit der semantischen Radikalisierung im Internet. Dabei kennzeichne sich die Kommunikation durch eine affektgesteuerte Hasssprache. Antisemitismus folge immer einer Affektlogik, die das Glaubenssystem als Wissenssystem sehe. Die weltweite Ausbreitung der Antisemitismen in den normalen sozialen Alltagsmedien sei präzedenzlos und ein Israelhass habe sich normalisiert. Schwarz-Friesel rief dazu auf, die Notwendigkeit einer Ethik der digitalen Kommunikation zu erkennen. Leider beobachte sie beim Kampf gegen Antisemitismus lediglich eine „Eyes Wide Shut-Politik“. „Was wir brauchen ist ein ganz radikaler Paradigmenwechsel!“ So sei es notwendig die Laienkommunikation, Floskelkultur und Marginalisierung und Petrifizierung der Bildungskonzepte zu beenden. Die gesamte Geschichte der Judenfeindschaft gehöre in den Schulunterricht.

In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Katharina von Schnurbein, Dr. Reiner Becker und Prof. Dr. Dr. Michel Friedman. Die Moderatorin Bianca von der Au forderte die Podiumsteilnehmer/in auf, sich zur Bedeutung der Bildung für Rassismus und Antisemitismus zu äußern. Friedman stellte klar, dass Antisemitismen kulturell tradiert seien. Becker hob die Bedeutung einer Lehrerbildung hervor, die auf den notwendigen Erziehungsauftrag vorbereite. Schnurbein betonte einen Zusammenhang zwischen der Geschichte, der Schoa und der Bedeutung des aktuellen Antisemitismus, der in die Lehrpläne integriert werden müsse. Im weiteren Verlauf der Podiumsdiskussion stellte sie eine seit 2019 existierende Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission vor, die sich zur Umsetzung relevanter Maßnahmen berate. Ferner hob Schnurbein hervor: „Wenn die IHRA-Definition nicht tatsächlich in die Fortbildung als Module eingebaut wird, für die Polizei, für die Richter, für die Staatsanwälte, dann wird sich nichts ändern. Das ist, was wir jetzt gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten und den jüdischen Gemeinden probieren.“ Sie rief in Erinnerung, dass, um keine Verunsicherung seitens der Diskriminierten zu schaffen, sich der Staat in aller Deutlichkeit auf ihre Seite stellen müsse. Auch Becker betonte, dass die Politik nicht die gesamte Verantwortung an die Zivilgesellschaft delegieren dürfe. Die Wichtigkeit eines gesellschaftlichen Gesprächsprozesses wurde betont, der der Gesellschaft Handlungs- und Denkoptionen aufzeige, denn, so Friedman, Antisemitismus sei immer aus der Mitte der Gesellschaft gekommen. Bei der Frage danach, was der Einzelne tun könne, verlautete Becker: „Unsere Gesellschaft ist zum ersten Mal herausgefordert, um Demokratie zu kämpfen!“ Friedman schlug vor, im Alltag das Intervenieren zu üben und ergänzte abschließend die Notwendigkeit einer Revitalisierung der demokratischen Standards. „Wenn wir das nicht üben, werden wir die Demokratie verlieren.“

 

 

 

Unter Rassismus verstehen wir im allgemeinen Sinn die Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen, die aufgrund eines Merkmals, wie zum Beispiel ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Kultur, einer ethnischen Gruppe zugeteilt und als minderwertig gegenüber der eigenen Gruppe bewertet werden. Eine besondere und die älteste Form von Rassismus ist der Antisemitismus.
Was verstehen wir im 21. Jahrhundert unter Rassismus und Antisemitismus und woran erkennen wir diese Phänomene? Inwieweit sind Rassismus und Antisemitismus im europäischen Alltag strukturell verankert?

In den letzten Jahren ist eine weitere neue Qualität von Rassismus und Antisemitismus auffällig geworden. Parteien deren Kernaussagen diese Narrative repräsentieren sind durch Wahlen politisch legitimiert worden und stellen in einigen Ländern die Regierungsspitze. Darüber hinaus zeigen sich Rassismus und Antisemitismus durch die gestiegene Anzahl von politisch motivierten
Straftaten.

Wie verbreiten sich Rassismus und Antisemitismus im digitalen Zeitalter in unseren Gesellschaften? Eine besondere Bedeutung in der Verbreitung von Rassismus und Antisemitismus nehmen die sozialen Medien ein. Ungefilterte und einseitige Informationen können ungehindert an die breite Öffentlichkeit versendet werden. Und Benutzer können anonym sowie ungefiltert, teilweise
aufgrund mangelnder Kontrolle der Internetanbieter, verachtende Meinungen äußern.

Was können Politik, Wissenschaft, Kultur und Öffentlichkeit dagegen tun? Im Zuge des Anstiegs von Gewalttaten und Hassnachrichten ist es umso wichtiger die Entwicklung von rassistischem Gedankengut zu reflektieren. Ziel des Symposiums ist die Grundlagen von Rassismus und Antisemitismus sowie deren Verbreitung in Europa zu identifizieren und Lösungsansätze zu finden.

15:00

Begrüßung
Prof. Dr. Martina Klärle
Vizepräsidentin Frankfurt University of Applied Sciences

Eröffnung
Prof. Dr. Dr. Michel Friedman
Geschäftsführender Direktor Center for Applied European Studies

 

15:15

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit — Gesellschaftliche Ursachen in entsicherten Zeiten
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer
Professor am Institut für interdisziplinäre Konflikt und Gewaltforschung, Universität Bielefeld

15:45

Zur Dynamik rechtsextremer Bewegungen
Prof. Dr. Hajo Funke
Emeritierter Professor für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin

16:15

Rassismus und Antisemitismus: Die Antwort der Menschenrechte
Prof. Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeldt
Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik, FAU Erlangen-Nürnberg

16:45

Diskussion mit dem Publikum
Moderation: Bibiana Barth, hr-iNFO
anschließend Pause

 

17:15

Antisemitismus in Europa
Dr. Ariel Muzicant
Vizepräsident, Europäischer Jüdischer Kongress (EJC)

17:45

Judenhass 2.0 – Die Verbreitung von Antisemitismus in den Sozialen Medien
Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schwarz-Friesel
Antisemitismusforscherin und Leiterin des Fachgebietes Allgemeine Linguistik, TU Berlin

18:15

Diskussion mit dem Publikum
Moderation: Bibiana Barth, hr-iNFO

18:30

Podiumsdiskussion
Rassismus und Antisemitismus in Europa – Maßnahmen und Lösungsansätze aus Praxis und Politik


Prof. Dr. Dr. Michel Friedman
Geschäftsführender Direktor, CAES

Uwe-Karsten Heye
Vorstandsvorsitzender, Gesicht Zeigen!

Katharina von Schnurbein
Koordinatorin zur Bekämpfung von Antisemitismus, Europäische Kommission

Moderation: Bibiana Barth, hr-iNFO

19:30

Get-together

 

 

 


    

Wann und wo

Freitag, 22. November 2019, 15:00 bis 19:30 Uhr

Bitte beachten Sie die Raumänderung aufgrund der hohen Nachfrage
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60313 Frankfurt

 

Anmeldung

Bitte melden Sie sich an unter www.frankfurt-university.de/caes-anmeldung
Die Teilnahme ist kostenfrei.

 

Weiterbildung

In Kooperation mit der Abteilung KompetenzCampus wird das Symposium als Weiterbildungsveranstaltung angeboten. Auf Anfrage vor Ort erhalten Sie eine Teilnahmebescheinigung.

 

Kontakt

Das Team des CAES erreichen Sie unter:

Telefon: +49 69 1533-3363

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Vanessa Cascante CarballoAssistenz School of Personal Development and Education
CAES-TeamID: 7207
letzte Änderung: 25.08.2022