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„Ökologie, Ökonomie und soziale Nachhaltigkeit bilden keinen naturgegebenen Gegensatz, aber erfordern zur Vereinbarkeit eine aktive Steuerung.“

Prof. Dr. Jens Müller-Merbach

ZIELE IM FOKUS

Risikomanagement

Warum es wichtig ist, Vorbild zu sein

Herr Prof. Dr. Müller-Merbach, Sie haben Karriere in der Risikosteuerung von Banken gemacht, waren bei einer sehr bekannten Bank und sind seit April 2020 an der Frankfurt UAS. Ist Nachhaltigkeit für Banken ein Thema?
Neuerdings: ja. Der globale Klimawandel und seine Folgen werden auch in der Finanzwirtschaft als Risiko wahrgenommen. Wenn zum Beispiel ein Kredit mit einem Waldgrundstück besichert ist und der Wald Schaden nimmt oder verloren geht, dann verliert auch die Sicherheit an Wert. Es waren die Aufsichtsbehörden, die das erkannt und den Banken aufgegeben haben, die Nachhaltigkeitsrisiken einer Investition angemessen zu bewerten. Und wenn eine Bank zu viele Risiken in ihren Büchern angehäuft hat, dann muss sie mit einem Eigenkapitalaufschlag dafür bezahlen. Das klingt alles sehr funktionalistisch, aber das Ziel ist ohne Frage, mehr Nachhaltigkeit in den Büchern der Banken zu erreichen.

Waren Sie als Banker überrascht, als die Aufsichtsbehörden den Banken einen Mangel an Nachhaltigkeit als Sicherheitsrisiko ins Bewusstsein gerufen haben?
Im ersten Moment durchaus. Doch für die Kreditwirtschaft war das ein unerwarteter, aber heilsamer Weckruf, in der fachlich-inhaltlichen Beurteilung von Risiken auch Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen. Das ist auch ein Thema für die Qualifikationsanforderungen an junge Nachwuchskräfte.

Bis wann werden wir einen Standard zur Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken haben?
Meist haben wir es – die Politik, die Behörden und die Banken – nicht so schnell geschafft, wie die zeitlichen Vorgaben waren, solche Standards aufzubauen. Eigentlich erwarten die Behörden heute schon eine qualifizierte Beschäftigung mit dem Thema, aber bis 2023 dürfte es einen Standard mit belastbaren Methoden geben. Die ESG-Offenlegungsverordnung als Rahmen ist ja im März 2021 in Kraft getreten, und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA hat vor Kurzem einen Definitionsentwurf zu einer Green Asset Ratio vorgelegt – es wird also immer konkreter.

Wie wird ein solcher Standard zur Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken die Welt verändern?
Wenn die Banken so eine Green Asset Ratio veröffentlichen müssen, dann hat man etwas, worüber man reden kann, was man vergleichen kann. Und die Menschen wollen nun einmal Zahlen, die sie als Fakten diskutieren können. Wenn schließlich in den Banken eine große Datenbasis über Nachhaltigkeitsrisiken vorliegt, können wir auch bestimmte politische Maßnahmen, um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen, besser begründen. Immerhin ist schon zu beobachten, dass einige Banken keine Kohlekraftwerke mehr finanzieren wollen.

Arbeitet die Hochschule an Instrumenten für die Banken, um Nachhaltigkeitskriterien aufzustellen und anzuwenden?
Es gibt schon einige Themen, die ich als Bacheloroder Master-Arbeiten in Sustainable Finance gerne vergeben würde. Zum Beispiel könnten wir der Frage nachgehen, ob Investoren tatsächlich in grüne Finanzprodukte gehen, oder ob alles nur ein Hype ist. Es gibt ja viele Fonds, die sich nachhaltig nennen. Aber sind die es wirklich? Es gibt große Agenturen, die erstellen Nachhaltigkeitsratings. Aber was messen die und wie messen die? Nachhaltigkeitsmessung erfordert viele Daten, da grenzt das Thema an Digitalisierungsfragen.

Ist es eine spezifische Aufgabe der Hochschule, die Nachhaltigkeit als Thema aufzugreifen?
Ja, allein schon vom Rollenverständnis her. Es sind die Hochschulen, die immer schon den gesellschaftlichen Wandel begleitet und befördert haben. Hier studieren junge Menschen, die einerseits eine Prägung erfahren, Wissen und Kenntnisse mehren, und die andererseits noch in der Zeit des Sturm und Drang sind und etwas bewegen wollen. Darum haben wir auch unsere Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt, an der 20 bis 30 Hochschulmitglieder diszipliniert gearbeitet haben.

Ich war vorher bei der Bank. Da hatten wir auch Projekte, an denen bis zu 60 Leute gearbeitet haben, aber ich hätte nie alle in einem Video-Meeting zusammengeführt. Das wäre in die Hose gegangen. Da ist die Kultur der Diskursdisziplin einer Hochschule hilfreich.

Was unterscheidet die Kulturen von Hochschule und Banken?
Komplexe Probleme werden in beiden Institutionen gelöst. An der Hochschule ist die intrinsische Motivation größer. Es machen die mit, die etwas bewegen wollen. In den Unternehmen geht es neben der Problembewältigung auch um Aufmerksamkeitsökonomie als Basis für die Karriere. Im Unternehmen arbeitet man sehr inhaltlich und ergebnisorientiert, aber man muss eben auch eigene Ideen liefern und sich vor allem als Ideengeber vermarkten. Neben dem fachlichen Interesse zählt auch: Was habe ich davon, was bringt es meiner Karriere?

Wie fähig sind Banken, Paradigmenwechsel zu vollziehen?
Banken haben durchaus konservative Sicht- und Verhaltensweisen. Aber viele setzen schon lange auf Nachhaltigkeit in ihrer Berichterstattung. Doch die Unternehmen machen Klimaschutz nicht um seiner selbst willen, sondern weil sie sich sagen: Das erwarten unsere Kunden, dass wir das machen. Und man muss ja auch sehen: Die Vorstände der Banken haben ein klares Mandat, nämlich das Unternehmen erfolgreich zu führen und nicht, den Kohlendioxidausstoß zu senken. Andere Ziele als erfolgsrelevant einzuführen, gelingt nicht, indem man ein paar Leute an der Spitze tauscht. Aber wenn die Politik, die Europäische Union und die Behörden ein Ziel setzen, dann läuft das schon.

Die EU setzt Ziele und löst politische Erfolge aus?
Ja, die EU macht Druck mit ihrem Green Deal unter der Kommissionspräsidentin von der Leyen. Es ist ein riesiges Rad, das die EU dreht. Die EU gibt damit viele Anregungen, Bachelor-Themen zu vergeben, obwohl man davon in den Medien nur wenig liest. Auch der Vorstoß der EZB unter Christine Lagarde für ein Green Quantitative Easing, das Kaufprogramm der EZB für grüne Anleihen, verändert viel. Die EU macht mehr als die deutsche Politik.

Wie könnte denn die deutsche Politik die Nachhaltigkeit mit Regeln für die Ökonomie stärken?
Wir haben seit 1967 das Stabilitätsgesetz mit den Zielen Preisstabilität, Beschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie stetiges, angemessenes Wirtschaftswachstum, aber mehrere Versuche, die Nachhaltigkeit darin aufzunehmen, sind gescheitert. Und nun regt sich aus Deutschland auch Widerstand gegen die grüne Geldpolitik der EZB. Das ärgert mich: Wenn es konkret wird, dann wird es abgelehnt. Die mögliche Signalwirkung für mehr Nachhaltigkeit wird nicht genutzt.

Werden Sie als Ökonom, der für Sustainable Finance streitet, an der Hochschule akzeptiert?
Ökologie, Ökonomie und soziale Nachhaltigkeit bilden ja keinen naturgegebenen Gegensatz, aber erfordern zur Vereinbarkeit eine aktive Steuerung.

Was konkret kann die Frankfurt UAS tun, damit sie selbst und ihr Umfeld nachhaltiger werden?
Die Arbeitsgruppe hat ja bereits viele Einzelmaßnahmen entwickelt. Als Hochschule betonen wir in unserem Leitbild ja den engen Bezug zu Frankfurt und Rhein-Main. Wir könnten, nach Corona, in einem Sharing-Economy-Konzept unsere beheizten Räume, anstatt diese abends leerstehen zu lassen, noch mehr für andere Nutzer der Region zur Verfügung stellen, da in Frankfurt Versammlungsräume knapp und teuer sind.

Welche langfristige Wirkung erzielen Sie als Frankfurt UAS in der Implementation von Nachhaltigkeit?
Langfristig sollen unsere Studenten nicht nur aufs Fahrrad umsteigen, sondern wir wollen sie nachhaltig für Themen der Nachhaltigkeit interessieren und öffnen. In meiner Vertiefungsvorlesung erzähle ich ihnen, wie wichtig in der Berichterstattung die Nachhaltigkeit allein wegen regulatorischer Anforderungen werden wird, und dass darin auch eine große Arbeitsplatzchance liegt. Das gibt es sicherlich analog im Ingenieurwesen. Die Themen sind dort andere, aber die Idee ist dieselbe.

M. RingwaldID: 10024
letzte Änderung: 21.06.2022