Die Studentinnen Laura Geriis und Katalin K. Schnitzer haben im Sommersemester 2025 – gemeinsam mit ihrer Studiengruppe – eine Exkursion zur Justizvollzugsanstalt Darmstadt unternommen. Organisiert wurde der Besuch von Prof. Dr. Simone Dittrich im Kontext des Studienschwerpunkts „Strafrecht, Kriminologie und Strafverfahren“. Im Nachbericht schildern die beiden ihre Eindrücke, Erfahrungen und Reflexionen eines besonderen Tages hinter Gefängnismauern.
Im Rahmen unseres Studiums der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Strafrecht, Kriminologie und Strafverfahren an der Frankfurt University of Applied Sciences hatten wir die Möglichkeit, die Justizvollzugsanstalt Darmstadt, das sogenannte Fritz-Bauer-Haus, zu besuchen. Unsere Dozentin Prof. Dr. Simone Dittrich hatte den Besuch organisiert, um uns einen Einblick in ein Arbeitsfeld zu gewähren, welches für viele von uns bisher nur aus Vorlesungen, Fallbeispielen oder Reportagen bekannt war. Für uns war es eine besondere Gelegenheit, den Strafvollzug einmal hautnah zu erleben – mit all seinen Herausforderungen, Strukturen und auch Widersprüchen.
Schon bei der Ankunft wurde uns klar, dass wir in eine ganz eigene Welt eintauchen würden. Alles war streng geregelt, die Sicherheitsvorkehrungen deutlich spürbar, und dennoch war da auch sofort das Gefühl: Hier geht es um Menschen, nicht nur um Strafe. In der JVA Darmstadt sitzen Männer ab 24 Jahren mit Freiheitsstrafen bis zu 24 Monaten. Was uns schnell deutlich wurde: Ein großer Teil der Inhaftierten zeigt psychische Auffälligkeiten – etwa 37 %, wie uns gesagt wurde. Das hat uns besonders beschäftigt, da wir uns in unserem Studium viel mit genau solchen Problemlagen auseinandersetzen. Im Gespräch mit Mitarbeitenden lernten wir viel über den Alltag der Gefangenen. Der Tagesablauf ist klar strukturiert: 6 Uhr Lebenskontrolle, dann Umschluss, Arbeit oder Ausbildung, Mittagessen, nochmal Arbeit und anschließend Freizeitangebote bis in den späten Nachmittag. Uns hat beeindruckt, wie sehr auf einen geregelten Rhythmus geachtet wird, aber auch, wie wichtig diese Struktur offenbar für viele ist. Sie gibt Halt und Orientierung in einem Umfeld, das die Inhaftierten sonst spürbar einschränkt.
Was uns wirklich überrascht hat, war die Vielzahl an Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Gefangenen können in verschiedenen Berufen lernen und arbeiten – z.B. als Koch, Schlosser, Maler, Drucker, oder Buchbinder. Auch Schulabschlüsse oder Bewerbungstrainings werden angeboten. Für Gefangene mit begrenzter Arbeitskapazität werden einfache Tätigkeiten und die Arbeitstherapie angeboten. Wer sich bemüht, hat die Chance, sich weiterzuentwickeln und Perspektiven für die Zeit nach der Haft zu schaffen. Auch Deutschkurse und die Möglichkeit, einen Gabelstaplerführerschein zu erlangen, werden angeboten, um den Inhaftierten den späteren (Wieder-) Einstieg in das Arbeitsleben zu erleichtern. Gerade das Thema Resozialisierung wurde immer wieder betont. Man spürte, dass es nicht nur um „Verwahrung“ geht, sondern wirklich darum, Wege aus der Straffälligkeit aufzuzeigen.
Die beiden Sozialarbeiter*innen erzählten uns, dass ihre Arbeit zu einem großen Teil aus administrativen Aufgaben besteht, aber auch intensive persönliche Begleitung umfasst – besonders bei Inhaftierten mit psychischen Erkrankungen oder Suchthintergrund. In der JVA Darmstadt arbeiten insgesamt sieben Sozialarbeiter*innen, die auf fünf Häuser verteilt sind, in denen die Gefangenen untergebracht sind. Kontakt zu dem/der jeweils zuständigen Sozialarbeiter*in können die Gefangenen per „Anliegen“ aufnehmen – sie füllen einen dafür vorgesehenen Bogen aus, in dem sie kurz den Grund ihres Anliegens schildern. Ein/Eine Sozialarbeiter*in ist für ca. 60 Inhaftierte zuständig. Sie werden verbeamtet und arbeiten 41 Stunden pro Woche mit den Gefangenen, der Gefängnisleitung, den anderen Fachdiensten und den Angehörigen sowie Behörden von außerhalb zusammen, um die Inhaftierten in ihren Angelegenheiten zu unterstützen und auf die Zeit nach der Haft vorzubereiten. Dabei wurde uns bewusst, wie viel Fingerspitzengefühl, Geduld und professionelle Distanz diese Arbeit erfordert. Die psychischen Belastungen, mit denen viele Gefangene kämpfen und die damit verbundene Herausforderungen wie Aggressivität oder Rückzug zeigen, wie wichtig eine stabile und professionelle soziale Betreuung ist.
Was besonders eindrücklich im Gedächtnis geblieben ist, ist das Thema Drogenkonsum innerhalb der JVA. Wir hätten nicht erwartet, wie präsent dieses Problem trotz aller Sicherheitsmaßnahmen ist. Uns wurde erzählt, dass Drogen zum Beispiel auf Papier geschmuggelt werden – scheinbar harmlos aussehende Briefe oder Dokumente, die mit Substanzen getränkt sind, können große Wirkung entfalten. Die Folgen für die psychische Gesundheit der Inhaftierten sind gravierend. Viele zeigen langfristige psychische Auffälligkeiten, teilweise sogar dauerhafte Veränderungen. Besonders bedrückend war für uns die Erkenntnis, dass es derzeit keine wirkliche funktionierende Möglichkeit gibt, eine JVA vollständig drogenfrei zu halten – trotz der Bemühungen des Personals. Gleichzeitig wurde auch deutlich, wie sehr sich die Mitarbeitenden bemühen, mit dieser Realität professionell und menschlich umzugehen. Es wird viel getan, aber die Problematik bleibt komplex und schwer kontrollierbar.
Auch das Freizeitangebot hat uns überrascht – es gibt Sportmöglichkeiten wie Fußball, Tischtennis, Zirkeltraining und sogar ein jährliches Sportfest. Vor der Pandemie wurden sogar sogenannte „Knastmarathons“ veranstaltet. Diese Angebote wirken auf den ersten Blick vielleicht nebensächlich, wurden uns aber als sehr wichtige Bestandteile zur Stabilisierung und Deeskalation erklärt. Auch religiöse Begleitung, Einzelgespräche und kreative Freizeitgestaltung gehören zum Angebot der JVA. Zudem werden die Inhaftierten mithilfe von Ergotherapie und psychologischer Beratung unterstützt.
Insgesamt war der Besuch für uns sehr aufschlussreich – und auch emotional nicht ganz leicht. Wir haben gesehen, dass Strafvollzug nicht nur aus Mauern und Regeln besteht, sondern aus vielen Graubereichen, offenen Fragen und auch engagierten Menschen, die versuchen, das Beste aus schwierigen Bedingungen zu machen. Für einigen von uns war der Tag ein Aha-Erlebnis: Vielleicht ist die Arbeit im Justizvollzug doch ein mögliches Berufsfeld, obwohl wir es vorher eher ausgeschlossen hätten. Andere wurden in ihrer bisherigen Richtung bestärkt oder haben eine neue Perspektive auf das Thema bekommen.
Der Besuch hinterlässt einen bleibenden Eindruck und die Erkenntnis, dass soziale Arbeit im Strafvollzug anspruchsvoll, aber auch enorm wichtig ist. Wir sind sehr dankbar, dass wir diesen Einblick bekommen haben – und vor allem, dass wir so offen empfangen wurden. Ein großer Dank geht an unsere Dozentin, Prof. Dr. Simone Dittrich, die diesen Besuch ermöglicht hat.