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Antisemitismus an deutschen Schulen: Wie Lehrkräfte gegensteuern können

Nicht erst seit dem Anschlag auf die Synagoge von Halle am 9. Oktober 2019 ist das Thema Gewalt gegen Jüdinnen und Juden und Antisemitismus in der Öffentlichkeit verstärkt sichtbar geworden. Auch an vielen deutschen Schulen ist Antisemitismus offenkundig: „Du Jude“ ist ein häufig benutztes Schimpfwort, Bedrohung, Stigmatisierung und Gewalt gehören zum Alltag jüdischer Schüler/-innen. Die Soziologin Prof. Dr. Julia Bernstein vom Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) hat 2018 erstmals eine sozialwissenschaftliche qualitative Untersuchung1 vorgelegt zu der Frage, wie Jüdinnen und Juden Antisemitismus in Schulen erfahren und wie Lehrkräfte damit umgehen. Die Studie, die an die Ergebnisse der 2017 veröffentlichten Untersuchung2 „Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland“ anschließt, liegt nun in deutlich erweiterter Fassung als Buch vor. Es fasst Erscheinungsformen von Antisemitismus, aktuelle Forschungsbefunde und Problemschwerpunkte zusammen. Ergänzend dazu finden sich Selbsttests in Quizform und konkrete Empfehlungen als „Handlungskoffer“ für pädagogische Fachkräfte.
 
Es ist der erste empirisch basierte Band im Bereich „Antisemitismus an Schulen“, der den Fokus auf die Perspektiven der jüdischen Betroffenen und die der Lehrkräfte legt und die Blickwinkel beider Akteursgruppen vergleicht. Bernsteins Team hat dazu die Datengrundlage, d.h. die Anzahl der Interviews erweitert (von 227 auf 251), die Analysen verdichtet und in den Kontext der Entwicklung des Antisemitismus in der Gesellschaft gesetzt. Durch die Darstellung jüngster Ereignisse im Zusammenhang mit Antisemitismus in Deutschland und deren Einordnung erhält die wissenschaftliche Arbeit einen aktuellen Bezug. Einführend ist dem Band ein historisch und theoretisch fundierter Überblick über die Entwicklung des Antisemitismus in verschiedenen Erscheinungsformen vorangestellt. „Diese auf dem aktuellen Stand der Antisemitismusforschung basierende Grundlage ließ sich anhand einzelner Fälle aus den Interviews anschaulich illustrieren“, so Bernstein. „Dabei werden sowohl die Kontinuität als auch die Vielfältigkeit der widersprüchlichen Formen des Antisemitismus dargestellt.“
 
Um einzelne Problemschwerpunkte besser beleuchten zu können, legt Bernstein den Fokus auf drei zentrale Bereiche: Israelbezogener Antisemitismus, Antisemitismus und Rassismus sowie Nazisymbolik und eine vom Nationalsozialismus geprägte Rhetorik unter Schülerinnen und Schülern. „In allen drei Bereichen haben wir in den Interviews festgestellt, dass Lehrkräfte gravierende Defizite im Umgang mit dem von den Schülerinnen und Schülern ausgehenden Antisemitismus aufweisen, zum Teil gar selbst antisemitisch argumentieren und handeln“, berichtet Bernstein. „Wir können beispielsweise aufzeigen, wie hinter der sogenannten Israelkritik eine deutliche bis zum Hass gesteigerte emotionale Abneigung gegen Menschen jüdischen Glaubens zu erkennen ist.“ Auch das Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus, sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zwischen beiden Phänomenen hat Bernstein analysiert. „Antisemitismus ist keine Unterkategorie des Rassismus“, stellt sie klar.
„Echos aus der Nazizeit“ nennt die Wissenschaftlerin jenen Problemschwerpunkt, der sich mit der Verbreitung nationalsozialistischer Symbole in der Schülerschaft und einen durch den Nationalsozialismus geprägten Sprachgebrauch befasst. Hitlergruß, die Verbreitung von Hakenkreuzen, Witze über den Holocaust und Sprüche über „Gas“ und „Vergasung“ finden sich unter allen Schülerinnen und Schülern, die keineswegs Neonazis sind. „Bei der Analyse, wie Lehrkräfte damit umgehen, fallen eine emotionale Distanz zum Holocaust, die Sehnsucht nach positiven kollektiven deutschen Identitäten, eine Schlussstrichmentalität sowie verschiedene Abwehrmechanismen auf“, berichtet Bernstein.
 
Den Transfer ihrer Forschung in die Praxis leistet die Soziologin durch Handlungsempfehlungen und Arbeitsmaterialien für Lehrkräfte. Sie nennt positive Beispiele für den Umgang mit Antisemitismus seitens der Lehrkräfte, fruchtbare Strategien und weitere Beispiele aus den Interviews, die den Fachkräften das Nachfühlen und Eindenken in die jüdischen Perspektiven ermöglichen sollen. „Außerdem haben wir Fragenkataloge samt Antworten für die Selbstprüfung und Nutzung im Unterricht zum Thema Judentum, Juden in Deutschland, Antisemitismus, israelbezogener Antisemitismus, Shoah sowie über den Umgang mit bestimmten Situationen im Klassenraum entwickelt“, so Bernstein. Im Anhang sind zudem Hinweise auf Broschüren zum pädagogischen Umgang mit Antisemitismus und eine Übersicht der Beratungsstellen für Lehrkräfte in Deutschland aufgeführt.
 
Julia Bernstein: Antisemitismus an Schulen in Deutschland. Befunde – Analysen – Handlungsoptionen, Verlag Beltz Juventa, 616 Seiten, ISBN: 978-3-7799-6224-3, 49,95 Euro, Erscheinungstermin: 8. April 2020

Kontakt

Frankfurt University of Applied Sciences
Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit
Prof. Dr. Julia Bernstein
bernstein.julia(at)fb4.fra-uas.remove-this.de
 
Weitere Informationen zum Fachbereich Soziale Arbeit & Gesundheit der Frankfurt UAS unter: www.frankfurt-university.de/fb4
 

1Der gesamte Forschungsbericht von Prof. Dr. Bernstein et al. „,Mach mal keine Judenaktion!‘: Herausforderungen und Lösungsansätze in der professionellen Bildungs- und Sozialarbeit gegen Antisemitismus“ ist hier nachzulesen:www.frankfurt-university.de/antisemitismus-schule

2Bernstein, Julia, Hövermann, Andreas, Jensen, Silke, Zick, Andreas: Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland. Ein Studienbericht für den Expertenrat Antisemitismus, Bielefeld 2017
Die gesamte Studie ist nachzulesen unter https://uni-bielefeld.de/ikg/daten/JuPe_Bericht_April2017.pdf
 

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letzte Änderung: 09.01.2024