Menü

„Geburtshelferin im Entdecken jugendlicher Interessen“

Studie „Wozu Jugendarbeit?“ offenbart Potentiale und Nutzen Offener Kinder- und Jugendarbeit für Persönlichkeitsentwicklung und Demokratiebildung junger Menschen

Frankfurt am Main, 29. Juni 2021. Offene Kinder- und Jugendarbeit stellt im Alltag junger Menschen, der stark durchstrukturiert und von schulischem Leistungsdruck geprägt ist, einen unverzichtbaren Freiraum dar und ermöglicht einen umfassenden Prozess der Persönlichkeitsentwicklung und Demokratiebildung. Zu diesem Ergebnis kommt die empirische Studie1 „Wozu Jugendarbeit? Untersuchung zu den Potentialen und zum Nutzen Offener Kinder- und Jugendarbeit“, die unter Leitung von Prof. Dr. Larissa von Schwanenflügel am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) durchgeführt wurde. Träger war der bsj Marburg e.V. (Verein zur Förderung bewegungs- und sportorientierter Jugendsozialarbeit e.V.), finanziert hat sie das Hessische Ministerium für Soziales und Integration. Die Ergebnisse basieren auf den Einblicken in den Alltag von sechs hessischen Kinder- und Jugendhäusern, den Erfahrungen und Überzeugungen der Fach- und Honorarkräfte, aktueller und ehemaliger Besucher/-innen und Leitungsverantwortlichen bei den jeweiligen Trägern, Landkreisen und des Landes. Der geplante Abschluss der auf drei Jahre angelegten Studie fiel in den Beginn der Pandemie und veranlasste die Macher/-innen zu einer Studien-Verlängerung, um das Feld auch unter Pandemie-Bedingungen in den Blick zu nehmen.

Die Ergebnisse zeigen: Die Potentiale Offener Kinder- und Jugendarbeit liegen in einer Arbeitsweise, die offen und aushandlungsorientiert an den Themen der Jugendlichen ansetzt bzw. diese aufgreift. „Offene Kinder- und Jugendarbeit ist gut darin, Freiräume zu schaffen, die es jungen Menschen ermöglicht, eigene Anliegen und Interessen zu entdecken, diese flexibel aufzugreifen und den Alltag gemeinsam und mit Jugendlichen zu gestalten. Sie ist ein Ort, an dem junge Menschen unbelastet Freizeit verbringen, aber auch Lebens- und Orientierungsfragen und gesellschaftliche Themen teilen und bewegen können. Das setzt zugleich voraus, junge Menschen als eigenständige Personen mit eigenen Lebensvorstellungen und Bedarfen anzuerkennen“, so Studienleiterin Prof. Dr. Larissa von Schwanenflügel, Professorin für Kinder- und Jugendarbeit, Jugendbildung und Partizipation. Offene Kinder- und Jugendarbeit habe die Aufgabe, „Geburtshelferin im Entdecken jugendlicher Interessen zu sein“, Selbstbildungsprozesse „zu rahmen und anzuregen“.

Junge Menschen schätzen Jugendarbeit als einen Ort, an dem sie ernst genommen werden, an dem sie nicht ständig pädagogisch adressiert werden, an dem sie auch mal laut, wild und ein bisschen verrückt sein dürfen, und in der „wir bestimmen […] und machen“, wie es eine Befragte formulierte. Sie machen deutlich, dass sie hier auf Erwachsene treffen, die anders sind als die meisten anderen. Sie zeichnet aus, dass sie sich für sie als junge Menschen wirklich interessieren, da sind, wenn Unterstützung notwendig ist, sie aber auch in Ruhe lassen und nicht ständig erwarten, dass sie etwas scheinbar pädagogisch Wertvolles tun. Mit ihnen kann man persönliche, aber auch gesellschaftliche und politische Themen bewegen, die Ausgestaltung des Alltages im Jugendhaus aushandeln. Sie regen an, über Dinge in unterschiedlicher Weise nachzudenken, mit ihnen kann man aber auch ebenso gut Spaß haben wie streiten. Die Forscher/-innen fassen diese Potentiale in den Begriffen des Aneignungs-, Aushandlungs- und Anerkennungspotentials.

„Diese Potentiale eines offenen, auf Freiwilligkeit und Diskursivität beruhenden Arbeitens sind unter den Bedingungen der Pandemie weitgehend ausgesetzt“, so Larissa von Schwanenflügel. Die Tendenz, Aufwachsen auf schul- und arbeitsmarktvorbereitende Fragen und junge Menschen in erster Linie auf ihre Funktion als Schüler/-innen und/ oder Problemträger/-innen zu reduzieren, zeige sich hier zugespitzt. Die veränderten Rahmenbedingungen haben gleichzeitig Einfluss auf die Rolle und pädagogischen Handlungsmöglichkeiten der Fachkräfte, die statt offene Ansprechpartner/-innen zu sein verstärkt zu Kontrollierenden von Hygienemaßnahmen werden. „Man ist so bisschen der Regeldiktator“, formulierte es einer der Befragten.
Zwar hat der quasi erzwungene Digitalisierungsschub Offener Kinder- und Jugendarbeit gezeigt, wie unzeitgemäß und teilweise lückenhaft die Rahmenbedingungen in den Einrichtungen sind. Abschließend lässt sich aber feststellen, dass sich die untersuchten Einrichtungen in der Pandemie als gewissermaßen krisenfest erwiesen haben. Sie übersetzen ihren fachlichen Auftrag, die Interessen, Themen und Bedarfe ihrer Zielgruppe zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit zu machen, kreativ und sehr flexibel in alternative Zugänge und Formate – wenn auch gleichzeitig um den Preis, ihre grundlegenden Arbeitsprinzipien teilweise weitgehend außer Kraft setzen zu müssen. Sie suchen junge Menschen in all ihren Facetten in den Blick zu nehmen, sie mit all ihren Fragen, Bedürfnissen und Belastungen und damit ganzheitlich als Subjekte anzuerkennen. „Offene Kinder- und Jugendarbeit hat hier eine große Stärke“, so die Studienverfasser/-innen.

In diesem Sinne kann man die mit der Corona-Pandemie einhergehende Krise als Chance begreifen: Einrichtungen waren gezwungen, ihre Zurückhaltung in der Auseinandersetzung mit digitalen Medien aufzugeben und sich intensiv mit dieser lebensweltlichen Realität junger Menschen auseinanderzusetzen. Das gilt auch für das (Wieder)Entdecken der Potentiale aufsuchenden Arbeitens. Jedoch bergen die mit der Pandemie verbundenen Entwicklungen auch ein Risiko für die Offene Kinder- und Jugendarbeit: Der Bedarf für eine einzelfallorientierte Bewältigungsunterstützung könnte weiter wachsen, während offene Räume weiter schrumpfen und damit auch die Freiräume, die für eine Selbstpositionierung und Demokratiebildung junger Menschen notwendig sind. Die Pandemie wird also nur dann eine Chance sein, wenn eine fachliche Verständigung darüber gelingt, wie aufsuchende und digitale Handlungsformen mit klassischen Angeboten der Ko-Präsenz Offener Kinder- und Jugendarbeit verknüpft werden können und dies fachlich, politisch und finanziell abgesichert werden kann.

Jugendliche werden sich nach einer sehr verregelten Zeit erst wieder in einer offenen Struktur zurechtfinden müssen, den Mut fassen, sich wieder zu positionieren, zu streiten und ihren eigenen Ideen zu folgen. Dazu bietet die Offene Kinder- und Jugendarbeit vielfältige Gelegenheiten und einen verlässlichen Rahmen; sie übernimmt damit eine besondere Rolle im Aufwachsen junger Menschen. „Das auch ins Bewusstsein der sozialpolitisch Verantwortlichen zu rücken, bedarf noch einiger Anstrengung“, prognostiziert Larissa von Schwanenflügel. „Die Studienergebnisse stellen einen guten Ausgangspunkt dar, um das in Hessen in Angriff zu nehmen.“

Kontakt: Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 4: Soziale Arbeit & Gesundheit, Prof. Dr. Larissa von Schwanenflügel, Telefon: +49 69 1533-2860, E-Mail: schwanenfluegel.larissa(at)fb4.fra-uas.remove-this.de
Weitere Informationen zum Fachbereich Soziale Arbeit & Gesundheit unter: www.frankfurt-university.de/fb4

1Der Abschlussbericht von Larissa von Schwanenflügel, Celine Heinrich, Mareike Blackert, Marcel König und Verena Witte: „Wozu Jugendarbeit? Untersuchung zu den Potentialen und zum Nutzen Offener Kinder- und Jugendarbeit in Hessen“ steht zum Download unter: www.bsj-marburg.de/tagung-wozu-jugendarbeit

Eine Auswahl an Pressefotos unserer Hochschule können Sie auf folgender Webseite herunterladen: www.frankfurt-university.de/pressefotos

Navigation

Zurück zur Übersicht der Pressemitteilungen | Zum Archiv der Pressemitteilungen

Kontakt zur Pressestelle

Besucheradresse
Tel.: +49 69 1533-3047
Fax: +49 69 1533-2403

Anschrift
Frankfurt University
of Applied Sciences
Abteilung Kommunikation
Nibelungenplatz 1
D-60318 Frankfurt am Main

Zentrale WebredaktionID: 3565
letzte Änderung: 09.01.2024