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Interview mit Sajia Behgam

Die afghanische Frauenrechtsaktivistin Sajia Behgam floh nach dem Sturz der afghanischen Regierung im August 2021 nach Frankfurt. Sie hatte zuvor für nationale und internationale Frauenrechtsorganisationen gearbeitet und war Beraterin im Büro des afghanischen Premierministers für Frauen- und Jugend. In ihrem Heimatland hatte sie bereits unter den Taliban gelebt und Mädchen in einer Untergrundklasse unterrichtet. In Deutschland erhielt Behgam ein Stipendium für Doktorand*innen im Bereich "Border Studies" an der Goethe-Universität. Zusätzlich arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt University of Applied Sciences. Hier engagierte sie sich im Buddy-Programm des Projekts STEPS-A, in dem sie andere geflüchtete Frauen aus Afghanistan, die zuvor als Frauenrechtsaktivistinnen und Beraterinnen tätig waren, unterstützte.

Im Interview berichtet sie über ihren Lernprozess, Herausforderungen und Chancen, die sie auf ihrem Weg begleitet haben.

Bei der IWAAC Summer School, die im August 2023 in Malaysia stattfand, wurden Sie als „Best Speaker“ ausgezeichnet. Worum ging es in Ihrem Vortrag?
Dieses Jahr hatte ich das Glück, im Rahmen des DAAD-Projekts „Inequalitities within and among countries (IWAAC-10)“ der Hochschule, zu einem Schreibworkshop und einer Konferenz in Malaysia eingeladen zu werden. Es war nicht leicht für mich, als Geflüchtete mit afghanischem Pass, nach Malaysia zu kommen. Aber alle haben mich unterstützt und ermutigt. So kam ich dazu, das Projekt bei einem Panel der ‚13. International Malaysian Studies Conference‘ zu vertreten und meinen Lernprozess zu schildern.

Ich denke, es hat das Publikum berührt, als ich erzählt habe, wie ich einige Tage zuvor auf ein Boot gestiegen bin, obwohl ich nicht schwimmen kann und Angst vor dem Wasser habe. Dabei habe ich verstanden, dass ich meine Ängste besiegen und mutig sein kann – auch in meinem akademischen Unterfangen. Jetzt versuche ich, dieses Gefühl im Kopf zu behalten, wenn ich daran zweifle, ob ich es wirklich schaffen kann.

Welche Herausforderungen und Erfolgsgeschichten haben Sie erlebt, als Sie in Deutschland anfingen? Welche Botschaft geben Sie den STEPS-A-Teilnehmern mit auf den Weg?
Das Leben als Geflüchtete bringt viele Herausforderungen mit sich, aber nichts im Vergleich zur Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan! Ich denke, eine der größten Herausforderungen für uns alle besteht darin, dass wir unsere Familien in Afghanistan zurücklassen mussten. Am Anfang wussten wir nicht, wo sie sind und wie es ihnen geht. Wir führen ständig zwei Leben: hier und dort!

Dann die Perspektive auf ein Leben in einem neuen Land: Wir kamen alle aus unseren Leben in einem Kriegsgebiet in ein sehr geordnetes Leben, mit vielen Regeln und Vorschriften – und Formularen, die nicht einmal die Deutschen verstehen! Und die Menschen in den Ämtern sind nicht immer hilfsbereit: Ich spreche viele Sprachen: Dari, Paschtu, Urdu, Englisch – aber ich kämpfe mit Deutsch (auch weil ich meine Promotion in Englisch schreibe). Einer meiner Erfolge war, als ich am Sprachkurs des Fachsprachenzentrums an der Frankfurt UAS teilnehmen konnte und meine Prüfungen bestanden habe. Was auch geholfen hat, war, dass ich ein Büro am Institut für Migration und interkulturelle Kommunikation (IMIK) an der Frankfurt UAS nutzen durfte. Das hat meinem Leben Struktur gegeben, ich war wieder an einer Hochschule, durfte Neues lernen und war an akademischen Diskussionen beteiligt (was ich immer geliebt habe).

Danke für das Interview!

Ich bin sehr froh, dass meine Kolleginnen durch das STEPS-A-Programm die gleiche Chance bekommen haben. Mein Rat an sie ist: „Nutzt die Chance!“ Ich kann sehen, wie motiviert und engagiert alle sind.

Inwieweit haben Ihre Promotion und Ihre Arbeit als Buddy Ihren Blick auf Bildung und Flüchtlingshilfe verändert? Gibt es besondere Erfahrungen oder Erkenntnisse, die Sie besonders geprägt haben?
Mich haben Prof. Dr. Dagmar Oberlies und Kirsten Huckenbeck sowie alle Buddies, die den afghanischen Familien nach ihrer Ankunft in Hessen unermüdlich geholfen haben, inspiriert und motiviert. Während der Corona-Krise wurde ein erstes Treffen im ChamissoGarden organisiert und wir unterstützten uns seitdem bei allen Schritten. Da wir aus einem Konfliktland kommen, sind wir manchmal mit unseren eigenen und familiären Problemen beschäftigt. Diese Art von Solidarität zu erleben, war für uns alle bewegend und hat uns eine andere Perspektive eröffnet. Es half mir herauszufinden, was ich tun wollte, und ihr Vertrauen gab mir Zuversicht und Hoffnung und ließ mich manchmal meine eigenen Probleme und die meines Landes vergessen. Ganz zu schweigen davon, wie viel ich über meine neue Heimat im Exil gelernt habe. Ich denke, das hat mir das Selbstvertrauen gegeben, mich für einen „richtigen“ Job zu bewerben.

Welche Botschaft oder welchen Rat würden Sie anderen Studierenden geben, die einen ähnlichen akademischen und beruflichen Weg in Deutschland einschlagen wollen?
Die meisten meiner Kolleginnen im STEPS-A-Programm waren Beraterinnen. Sie arbeiteten mit Opfern häuslicher Gewalt oder mit weiblichen Gefangenen. Ich denke, sie können in den Bereichen unterstützen, in denen dringend Fachkräfte in Deutschland gesucht werden. Daher hoffe ich, dass sie ihre Fähigkeiten und Erfahrungen nutzen und gute Jobs finden können (damit sie ihre hungernden Familien zu Hause unterstützen können).

Ich weiß aber auch, dass afghanische Frauen und Mädchen sehr ehrgeizig sind, was Bildung und Karriere angeht. Einige machen vielleicht weiter mit dem Master in psychosozialer Beratung, den die Frankfurt UAS anbietet, andere wollen promovieren. Dabei, das weiß ich, werden sie die Professorinnen des STEPS-A-Programm unterstützen und helfen ein Thema und eine Betreuung zu finden. Mein Rat an die Interessierten: Sprecht mit den deutschen Professor*innen (denn das sind Studierende in Afghanistan nicht gewöhnt).

Welche Pläne haben Sie, sowohl in Bezug auf Ihre Forschung als auch auf Ihre Arbeit zur Unterstützung anderer? Gibt es neue Projekte oder Ziele, die Sie verfolgen möchten?
Derzeit arbeite ich an einem Beitrag für ein Buchkapitel. Ich hoffe, dass ich als Mitglied der Frankfurter Delegation im nächsten Jahr zur IWAAC-Konferenz am TATA-Institut in Mumbai (Indien) reisen und meinen Buchbeitrag vorstellen und diskutieren kann. Ich bin auch voller Tatendrang, meine Arbeit an meiner Doktorarbeit fortzusetzen, insbesondere nachdem ich aus Malaysia zurückgekommen bin, wo ich andere Promovierende getroffen und ein transnationales Netzwerk gefunden habe. Wir stehen immer noch in Kontakt miteinander und kommentieren wechselseitig unsere geschriebenen Texte.

Gleichzeitig begann ich, Teilzeit bei einer Organisation namens ZAN e.V. zu arbeiten, die Schulungen und Workshops durchführt, um die Fähigkeiten und Kenntnisse von Frauen zu fördern bzw. zu vertiefen. Es macht mir Spaß, meine Erfahrung und mein Wissen nutzen zu können, um anderen Frauen zu helfen. Aber ich verliere nie meinen großen Traum aus den Augen, wieder Dozentin zu werden, vielleicht in Deutschland, vielleicht an der Afghan-Online-Universität, die wir – zusammen mit dem World University Service (WUS) – geplant haben, und vielleicht eines Tages sogar wieder in Kabul. Ich möchte ein Vorbild für meine eigenen Töchter und für andere Frauen sein: Gib niemals auf, habe Spaß am Lernen, lass nicht zu, dass irgendjemand oder irgendetwas deine Träume und Ambitionen zerstört.

Weitere Informationen zum Projekt STEPS-A unter www.frankfurt-university.de/steps-a.
Mehr zum Projekt Inequality within and among countries - IWAAC-10 unter www.frankfurt-university.de/?id=10785.

 

 

Zentrale WebredaktionID: 12933
letzte Änderung: 24.10.2023