Frankfurt am Main, 15. August 2019. „Um den Pflegenotstand in Deutschland einzudämmen, erweist sich die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte als ein wichtiges Instrument. Dabei wird deren Integration in das vorhandene Team entscheidend sein“, fasst Prof. Dr. Ulrike Schulze, Professorin für Pflegewissenschaft/Klinische Pflege an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) und Geschäftsführerin des Hessischen Instituts für Pflegeforschung (HessIP), zusammen. Deshalb führt das HessIP mit Sitz an der Frankfurt UAS seit 2015 das Forschungsprojekt TransCareKult im Hessischen Landesnetzwerk „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ durch. Im Rahmen des Projektes wurde in Zusammenarbeit mit vier kooperierenden stationären Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen ein übertragbares Qualifizierungskonzept entwickelt und umgesetzt, das eine transkulturelle Willkommens- und Anerkennungskultur etablieren soll. In der dritten IQ-Förderphase „TransCareKult – Anerkennungskultur verankern, Bindung stärken“ (2019-2021) werden nun unterschiedliche Ansätze zur nachhaltigen Verankerung der Inhalte in den Einrichtungen entwickelt, etwa in Form eines „Train the trainer“-Ansatzes. Phase 3 hat in Weiterentwicklung der ersten beiden Phasen das Ziel, den Prozess der Personalgewinnung und -bindung zu stärken. Dies soll über die Integration von internationalen Pflegefachpersonen in Einrichtungen der Gesundheits- und Krankenpflege sowie Altenpflege in Hessen erfolgen.
Eine vom HessIP 2015 durchgeführte Studie zeigt, dass die Unternehmen mit unterschiedlichen Strategien und Maßnahmen – welche vorwiegend die Anwerbung, Einstellung, Sprachentwicklung und die Anerkennung der Berufsqualifikation ausländischer Pflegefachkräfte fokussieren – auf die Herausforderungen bei der Integration ausländischer Pflegefachkräfte reagieren. Für die Verankerung einer Willkommens- und Anerkennungskultur sowie der nachhaltigen Gestaltung eines wechselseitigen Integrationsprozesses werden von den Unternehmen nur selten adäquate Qualifizierungsmaßnahmen angeboten. Doch diese braucht es, um sowohl die Bedürfnisse und Bedarfe der zugewanderten als auch der langjährig Mitarbeitenden zu berücksichtigen und zu bedienen. „Auf diese Angebotslücke reagieren wir mit einem Qualifizierungskonzept, welches die kulturelle Diversität im Setting der stationären Pflege fokussiert“, betont Schulze. Das Konzept wird in Form von Workshops mit Pflegenden und Führungsfachpersonen sowie in Form von Beratungen mit Entscheidungsträgern der kooperierenden Unternehmen umgesetzt. Gemeinsam werden Lösungs- und Handlungsstrategien zu unterschiedlichsten Problem- und Fragestellungen im Rahmen des Integrationsprozesses entwickelt. Darüber hinaus werden Transferstrategien herausgearbeitet, wie die Inhalte der Qualifizierungsmaßnahmen im pflegerischen Alltag umgesetzt werden können. Die Workshops zu den einzelnen Qualifizierungsbausteinen „Teil des Teams sein“, „Einarbeitung interaktiv gestalten“, „Sich solidarisch erklären“ und „Eine gemeinsame Sprache entwickeln“ ermöglichen Reflexionsprozesse in einem Setting, das Entwickeln, Ausprobieren und Durchspielen von (alternativen) Handlungsstrategien ermöglicht. Das Qualifizierungskonzept ist auf verschiedene Zielgruppen der Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen ausgerichtet und nimmt vor allem Personen in den Blick, die maßgeblich für die Integration neuer Mitarbeitenden aus dem Ausland verantwortlich sind.
„Neben der Anerkennung der Berufsqualifikation, dem Abbau der Sprachbarrieren und der Einarbeitung gilt es vor allem auch Teambuildingprozesse anzustoßen und die Pflegefachkräfte dazu anzuregen, Perspektivwechsel vorzunehmen. So können diese zum Beispiel für die Bedeutung des Fremdseins sensibilisiert werden. Die soziale Integration der internationalen Pflegefachpersonen in das Team stellt eine Herausforderung sowohl für die zugewanderten als auch die langjährig Mitarbeitenden in den Bereichen dar. Zumal sie oft über unterschiedliche Pflege- und Arbeitsverständnisse verfügen. Wichtig ist, jedes Teammitglied in all seinen Facetten als Bereicherung für das Team zu begreifen und gegenseitige Wertschätzung zu schaffen“, betont Schulze.
Empfehlungskatalog für Integrationsprozess
Durch die langjährige Erfahrung konnte zusätzlich ein Empfehlungskatalog erstellt werden, der Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen unterstützt, ihren Integrationsprozess zu optimieren. Der Katalog richtet sich vornehmlich an Mitarbeitende in Leitungs- bzw. Führungspositionen oder aber an Personen auf der sogenannten konzeptionellen Ebene (z.B. Integrationsbeauftragte, im internationalen Recruiting Tätige etc.). Es empfiehlt sich das möglicherweise auftretende Ungerechtigkeitsempfinden der langjährig mitarbeitenden Pflegefachpersonen zu berücksichtigen. Deshalb wird empfohlen, Angebote und Anreize möglichst allen Mitarbeitenden, nicht nur neu zugewanderten Pflegenden, anzubieten, um so eine Vorprägung der Mitarbeitenden zu vermeiden. Des Weiteren zeigen die Erkenntnisse des Projektes, dass unterschiedliche Verständnisse von Integration vorliegen können. So stehen sich beispielsweise die Ansätze „Selbstintegration“ und „integrieren zu müssen“ entgegen und erzeugen unterschiedliche Erwartungen und Haltungen. Die Empfehlung ist also, den Fokus auf einen wechselseitigen Integrationsprozess zu legen und diesen in den Einrichtungen zu kommunizieren. Zudem sollten nicht mehr als maximal zwei neue Pflegefachkräfte (unabhängig, ob aus dem Ausland oder nicht) gleichzeitig auf einer Station eingearbeitet werden, da es sonst zu einer Überforderung des Teams kommt. Der Empfehlungskatalog soll bis Ende des Jahres 2019 in einer Veröffentlichung (Materialband) erscheinen, in dem auch die Arbeitsmaterialien für die Schulungen und die Entwicklung des Qualifizierungskonzeptes beschrieben sind.
Die empirischen Erkenntnisse der ersten Erhebungsphase (2015-2016) zeigen, dass die Pflege- und Arbeitsverständnisse der internationalen Pflegefachpersonen von den in Deutschland ausgebildeten und sozialisierten Pflegefachpersonen als different wahrgenommen werden. Besonders die Übernahme grundpflegerischer und ärztlicher Tätigkeiten wird hier diskutiert bzw. kritisiert. Aufgrund der Unterschiede in den Ausbildungssystemen wird den ausländischen Pflegefachpersonen ein „medizinorientiertes“ Verständnis von Pflege zugeschrieben. „Es handelt sich hier um ein breit gefächertes und bisher noch nicht ausreichend erforschtes Thema, welches in der aktuellen Förderphase mit der Durchführung von Gruppendiskussionen untersucht wird. Ziel ist die Entwicklung eines weiteren Qualifizierungsbausteins, welcher diese Thematik aufgreift“, so Schulze.
Vorangegangene Forschung
Nach der Entwicklung, Erprobung und ersten Umsetzung des Qualifizierungskonzeptes in der ersten Förderphase (2015-2016) folgte die hessenweite Umsetzung der Qualifizierungsmaßnahmen in kooperierenden stationären Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen im Folgeprojekt „TransCareKult – Anerkennung neu denken“ (2017-2018). Das Folgeprojekt „TransCareKult – Anerkennungskultur verankern, Bindung stärken“ (2019-2021) beinhaltet zum einen die Weiterentwicklung und hessenweite Umsetzung des Qualifizierungskonzeptes in den Unternehmen. Zum anderen widmet sich das Projekt der Konzipierung und Durchführung eines „Train the trainer“-Ansatzes.
Um die Inhalte des Qualifizierungskonzeptes in die berufliche Pflegeausbildung zu transferieren, wurde ab 2017 die Zielgruppe um Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen erweitert und die Qualifizierungsmaßnahmen auch bei Auszubildenden umgesetzt und evaluiert. Zudem wurden die Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen qualifiziert und in gemeinsamen Workshops mit den Bildungsinstituten Bedarfe und Erfordernisse zur Übertragung der Inhalte in die Ausbildung identifiziert. Ziel ist, mit der Qualifikation der Lehrkräfte zu erreichen, dass diese als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren fungieren.
„Unsere systematisch durchgeführten Recherchen ergeben, dass zum Projektstart und auch heute keine exakten Kenntnisse bzw. Daten darüber vorliegen, wie viele Pflegefachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland kommen bzw. wie viele ausländische Pflegefachkräfte von den Unternehmen angeworben und rekrutiert werden. Lediglich die vorliegenden Zahlen des Statistischen Bundesamtes über die Anträge von ausländischen Pflegefachkräften auf Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Berufsqualifikation lassen eine Tendenz erkennen“, so Schulze. Im Jahr 2012 haben insgesamt 1.482 Personen einen Antrag auf Anerkennung ihrer Berufsqualifikation gestellt. Im Jahr 2017 waren dies bereits 8.835 Personen (vgl. Statistisches Bundesamt 2018).
TransCareKult – ein Angebot im Hessischen Landesnetzwerk „Integration durch Qualifizierung (IQ)“
Das Projekt „TransCareKult – Anerkennungskultur verankern, Bindung stärken“ ist Teil des IQ Netzwerks Hessen und wird im Rahmen des Förderprogrammes „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ durchgeführt. Das Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ zielt auf die nachhaltige Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von Erwachsenen mit Migrationshintergrund ab. Das Programm wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert. Partner in der Umsetzung sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Bundesagentur für Arbeit (BA).
Kontakt
Frankfurt University of Applied Sciences
Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit
Prof. Dr. Ulrike Schulze
Telefon: +49 69 1533-2845
uschulze(at)fb4.fra-uas. de
Hessisches Institut für Pflegeforschung
Christina Gold und Sabrina Khamo Vazirabad
Telefon: +49 69 1533-2675
transcarekult(at)hessip. de
HessIP
Das Hessische Institut für Pflegeforschung (HessIP) wurde 2001 von drei hessischen Hochschulen mit Pflegestudiengängen, der Evangelischen Hochschule Darmstadt, der Fachhochschule Frankfurt am Main –heute Frankfurt University of Applied Sciences – und der Hochschule Fulda mit Geschäftsstelle in Frankfurt gegründet. Neben Erforschung pflegewissenschaftlicher Fragestellungen und deren Umsetzung in die Praxis, ist die Vernetzung von Forschung und Lehre ein weiteres Hauptaufgabengebiet des Instituts. Studierende der drei Hochschulen und darüber hinaus aus der gesamten Bundesrepublik sowie aus dem europäischen Ausland nutzen die Möglichkeit des Praktikums im HessIP. Das HessIP ist mit einer Vielzahl an innovativen, pflegewissenschaftlichen Projekten eine der wichtigsten Anlaufstellen für Pflegeforschung in Hessen. Zu den Projektthemen zählen u.a. Begleitung chronisch und lebensbegrenzend erkrankter Menschen, klinische Pflege sowie Migration und Diversität im Pflegesetting.
Weitere Informationen zum HessIP unter: www.hessip.de