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Pflegeteams stärken – nicht nur in der Krise!

Hilfe zur Selbsthilfe als Antwort auf chronische Überlastung in der Pflege: Interdisziplinärer Forschungsverbund entwickelt Intervisions-Training

Pflegefachpersonal arbeitet schon längst an der Belastungsgrenze. Stationäre sowie ambulante Gesundheitseinrichtungen befinden sich im Ausnahmezustand. Grund hierfür ist nicht nur die derzeitige pandemische Notlage. Insbesondere die Auswirkungen des demografischen Wandels und der unzureichenden Personalausstattung im Gesundheitswesen beanspruchen die Pflegeteams zusätzlich. Deshalb gilt es, den beruflichen Belastungen der Pflegekräfte entgegenzuwirken, so Berufsflucht zu verhindern und Neulingen den Berufseinstieg zu erleichtern. Damit befasst sich das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt „Partizipativ-orientierte Intervision zur betrieblichen Gesundheitsförderung in diversitären Pflegeteams“ (POINTED). Es will diese Berufsgruppe nachhaltig entlasten und fördern. Ziel des Projekts ist es, durch den Einsatz eines mediengestützten, sogenannten „Intervisions-Trainings“ insbesondere für psychosoziale Gesundheit der Pflegenden zu sorgen. Leitfrage ist dabei: Wie können sich Pflegefachpersonen selbst stärken? Deshalb erfolgt das kollegiale Team-Coaching ohne externe supervisorische Fachperson. Das Projekt ist ein gemeinsames Vorhaben des Hessischen Instituts für Pflegeforschung (HessIP) mit Sitz an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) und der Hochschule RheinMain (HSRM). Es vereint die Pflegewissenschaften mit den Medienwissenschaften.

„Jede dritte Pflegefachkraft fühlt sich während und nach der Arbeit häufig niedergeschlagen, nervös und gereizt“, so Prof. Dr. Julia Lademann, Professorin für Pflege- und Gesundheitswissenschaften an der Frankfurt UAS. Studien[1] aus dem Jahr 2021 verdeutlichen zudem, dass sich Pflegefachkräfte in Zeiten der Corona-Pandemie in einem emotionalen Dilemma zwischen ihren beruflichen Aufgaben und der Angst, sich selbst anzustecken, befinden. „Die bereits vor der Krise unzureichende Personalausstattung bedeutet für die Beschäftigten mehr Arbeit und Überstunden. Zudem werden sie regelmäßig auch dann angefordert, wenn sie eigentlich arbeitsfrei hätten“, beschreibt Lademann. Dies habe zur Folge, dass sie überarbeitet und gestresst sind, wodurch Stimmung, Arbeitsmoral und Pflegequalität sinke. „Jede sechste Pflegefachkraft denkt an einen Berufsausstieg. Dabei fehlen jetzt schon mindestens 100.000 Pflegefachpersonen im akutstationären Setting“, ergänzt Prof. Dr. Ulrike Schulze, Professorin für Pflegewissenschaft/Klinische Pflege an der Frankfurt UAS und Geschäftsführerin des HessIP. Für die Qualität der Pflege könnten nicht nur einzelne Fachpersonen verantwortlich gemacht werden. „Vielmehr muss die Zusammenarbeit im ganzen Pflegeteam und die hier vorherrschende Professionalität betrachtet werden. Starke Teams können mit herausfordernden Arbeitsbedingungen adäquat umgehen und Veränderungsprozesse selbst initiieren und einfordern. Ein solch starkes und professionell handelndes Pflegeteam wird daher sowohl Berufseinsteiger/-innen gewinnen als auch einer Berufsflucht vorbeugen“, erklärt Lademann den Ansatz des Forschungsprojekts.

Wie kann die Entwicklung eines starken Pflegeteams gefördert werden? Das Projekt POINTED setzt neben der Konfliktbewältigung auf den weitaus effektiveren Ansatz der Konfliktprävention. „Bislang gibt es noch keine Ansätze für mediengestützte psychosoziale Konzepte für Pflegeteams. Aufgrund des digitalen Fortschritts in der Gesellschaft ist von einer hohen Annahmebereitschaft auszugehen. Zudem ist bekannt, dass Supervisionsangebote, also externe berufsbezogene Beratungen, in deutschen Gesundheitseinrichtungen häufig nicht oder zu spät in Anspruch genommen werden“, so Schulze. Aus diesem Grund wird der Lösungsansatz einer „Intervision“ in den Fokus gestellt. Das bedeutet, dass sich Teams ohne eine externe supervisorische Fachkraft treffen, um ihre berufliche Arbeit zu reflektieren. Dieses Format gilt es zu unterstützen und didaktisch zu untermauern. Das Vorhaben erwartet als Ergebnis dieser angestrebten sozialen Innovation, dass sich die gesundheitliche Situation der Pflegenden nachweislich verbessern lässt.

Im engen Austausch mit Pflegefachpersonen konnten im Projekt bereits umfangreiche Trainingseinheiten konzipiert werden. Der Prototyp gliedert sich jeweils in Einzel- und Teamtrainingseinheiten. Er wird im Projektjahr 2022 erprobt und modifiziert, sodass im darauffolgenden Projektjahr eine Evaluation im gesamten deutschsprachigen Raum erfolgen kann. Jede/-r Teilnehmer/-in durchläuft mithilfe des Prototyps zunächst mediengestützte Einzeltrainingseinheiten. Sie sensibilisieren die Teilnehmenden in den Bereichen Selbstpflege, Selbstwirksamkeit sowie für die Entwicklungspotenziale eines Teams. Dies soll die Pflegeteams auf den Kern des Intervisions-Trainings vorbereiten: vier zweistündige digitale Teamtrainingseinheiten. Die Lernziele umfassen die Themenfelder pflegerisches Selbstverständnis, Feedbackkultur, Dilemma der Pflegepraxis und Anleitung zur kollegialen Beratung.

„Konfliktkultur, Kommunikation und Interaktion spielen im Gesundheitswesen eine bedeutende Rolle. Belastungen und Herausforderungen sind in gesunden Team-Konstellationen bewiesenermaßen leichter zu bewältigen, Teamförderung ist also ein wichtiges Präventionselement“, so Lademann. Pflegefachpersonen sollen deshalb durch das Intervisions-Konzept befähigt werden, eigenständig psychosozialen Stress zu bewältigen und ihre psychische Widerstandsfähigkeit achtsam zu regulieren. Eine psychosozial angelegte Gesundheitsförderung soll die Mitarbeiterbindung erhöhen und langfristig zur Stabilisierung der Pflegeteams führen.

Teilnahme an der Entwicklung des Prototyps
Interessierte Akutkliniken, stationäre Einrichtungen und Altenpflegeheime können sich ab März 2022 für die kostenlose Erprobung registrieren, so einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Pflegeforschung und zur Stabilisierung/Professionalisierung ihrer Pflegeteams leisten. Der Prototyp kann nachhaltig in gesundheitsförderliche Strukturen und Prozesse eingebunden werden.
Interessierte, die derzeit in der Pflege tätig sind und Erfahrungen in der Teamarbeit haben, können sich per E-Mail oder telefonisch an das Projektteam wenden. Das Team möchte mit ihnen gemeinsam den Prototyp weiterentwickeln.

Geleitet wird das Forschungsprojekt von Prof. Dr. Ulrike Schulze (Frankfurt UAS), Prof. Dr. Julia Lademann (Frankfurt UAS) und Prof. Dr. Ulrike Spierling (HSRM). Die Projektlaufzeit beträgt drei Jahre (2020 bis 2023). Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit lassen sich pflege- und sozialwissenschaftliche Zugänge mit medien- und designwissenschaftlichen Ansätzen verbinden, wodurch ein technologisch gestütztes Intervisions-Konzept für Pflegeteams entwickelt werden soll. Das Verbundvorhaben läuft unter dem Förderkennzeichen 13FH089SA8 und wird mit insgesamt rund 710.000 Euro durch das BMBF in der Förderlinien FH-Sozial 2018 gefördert.

Kontakt:

Frankfurt University of Applied Sciences
Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit
Hessisches Institut für Pflegeforschung
Geschäftsführung Prof. Dr. Ulrike Schulze (bei Fragen zum Institut)
Tel.: +49 69 1533-2845
uschulze(at)fb4.fra-uas.remove-this.de
Prof. Dr. Julia Lademann
lademann.julia(at)fb4.fra-uas.remove-this.de
wiss. Mitarbeiter/-in Andre Terjung und Sabrina Khamo
Tel.: +49 69 1533-3245
info(at)projekt-pointed.remove-this.de (Projekt)

Weitere Informationen zum Projekt POINTED unter: https://www.hessip.de/projekte/aktuelle-projekte/pointed/ und www.projekt-pointed.de/; mehr zu den Pflegestudiengängen des Fachbereichs Soziale Arbeit und Gesundheit unter www.frankfurt-university.de/fb4.

HessIP
Das Hessische Institut für Pflegeforschung (HessIP) wurde 2001 von drei hessischen Hochschulen mit Pflegestudiengängen, der Evangelischen Hochschule Darmstadt, der Fachhochschule Frankfurt am Main –heute Frankfurt University of Applied Sciences – und der Hochschule Fulda mit Geschäftsstelle in Frankfurt gegründet. Neben der Erforschung pflegewissenschaftlicher Fragestellungen und deren Umsetzung in die Praxis, ist die Vernetzung von Forschung und Lehre ein weiteres Hauptaufgabengebiet des Instituts. Studierende der drei Hochschulen und darüber hinaus aus der gesamten Bundesrepublik sowie aus dem europäischen Ausland nutzen die Möglichkeit des Praktikums im HessIP. Das HessIP ist mit einer Vielzahl an innovativen, pflegewissenschaftlichen Projekten eine der wichtigsten Anlaufstellen für Pflegeforschung in Hessen.
Weitere Informationen zum HessIP unter: www.hessip.de                                                                                                                 

 

[1] Studie der HAW Hamburg:

https://www.haw-hamburg.de/detail/news/news/show/pflegekraefte-am-limit/

Janssens, Uwe/Hermes, Carsten/Karagiannidis, Christian (2021): Online-Befragung Belastungserleben während der dritten Coronawelle. Berlin: Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin.

https://www.dgiin.de/files/dgiin/aktuelles/2021/20210422_Onlinebefragung-Belastungserleben-Corona-Pandemie.pdf

 

Zentrale WebredaktionID: 13159
letzte Änderung: 23.11.2023