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Symposium

Europäische Klimapolitik - zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Freitag, 13. November 2020, 14:00 bis 17:00 Uhr

 

Am 13. November 2020 diskutierten die folgenden Expertinnen und Experten im Live Stream des Center for Applied European Studies (CAES) zum Thema „Europäische Klimapolitik - zwischen Anspruch und Wirklichkeit“: Ayse Asar (Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst), Alois Gerig (MdB, Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft im Bundestag), Dr. Beatrix Tappeser (Mitglied im Bioökonomierat), Prof. Dr. Mojib Latif (Professor am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel), Prof. Dr. Sebastian Lakner (Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock), Morten Kabell (Co-CEO der European Cyclists‘ Federation), PD Dr. Jenny Preunkert (Vertretungsprofessorin am Institut für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen), Martin Häusling (MdEP für die Fraktion der GRÜNEN/EFA) und Prof. Dr. Martina Klärle (Professorin für Landmanagement, Vizepräsidentin Frankfurt UAS). Die Fragen aus dem Online-Publikum wurden moderiert von Hanna Immich (hr-iNFO).

Der Präsident der Frankfurt UAS, Prof. Dr. Frank Dievernich stellte in seinem Grußwort die Frage: „Wie müssen die Maßnahmen zum Klimaschutz in der EU gestalten werden, um langfristige Verbesserung beim Umweltschutz hinzubekommen? Gibt es überhaupt eine realistische Chance die ambitionierten Klima- und Energieziele zu erreichen?“ Als Hochschule gehöre der Klimaschutz zur zentralen Aufgabe und das Ziel sei, dass sich jeder Studierende der Verantwortung bewusst ist.

Der Geschäftsführende Direktor des CAES, Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, begann seine Begrüßung mit dem Hinweis, dass es heute um die existenzielle Zukunftsfrage gehe: „Nutzen wir das Privileg, auf dieser Erde zu leben und sie zukunftsfähig zu machen, dass die Umstände für Menschen so bleiben, dass Leben überhaupt möglich ist?“ Dies sei nur miteinander und global zu lösen. In diesem Rahmen sei die EU einer der wichtigen Player, aber auch einer der großen Verursacher. Mit der Ausrufung des europäischen Green Deal, könne sich diese Politik das letzte Mal ein Stück von Glaubwürdigkeit erarbeiten.

Ayse Asar hob zu Beginn ihres Redebeitrags den zentralen Platz für Forschung und Innovation im Rahmen des Green Deal hervor – in Form des Forschungs- und Innovationsprogramms der EU „Horizon Europe“. Sie hielt positiv fest, dass 35% der Forschungs- und Investitionsausgaben von „Horizon Europa“ in die Klimaforschung investiert werden sollen. Denn „Europa benötigt dringend Antworten der Forschung auf Fragen zum Umgang mit dem Klimawandel.“ Es seien insbesondere energieeffiziente und ressourceneffiziente Lösungen anzustreben – auf der Zielgerade zur angestrebten Null-Emissionswirtschaft in 2050. So verfolge der Hessische Hochschulpakt auch das Ziel der CO2-neutralen Hochschule und regelt zudem, dass die Hochschulen wissenschaftliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Innovationen schaffen, die eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung unterstützen.

Anschließend stellte Prof. Dr. Mojib Latif dar, dass kurzzeitige Entwicklungen, wie die Pandemie, sich nicht zwingend gut auf das Klima auswirkten, da CO2 nicht einfach verschwinde, sondern sich weiter in der Luft summiere. Dementsprechend sei der Emissionswert im Mai 2020 höher als im Mai 2019 gewesen. Die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei eine „Herkulesaufgabe“. „Was jetzt geschehen muss, ist, dass wir Rückgänge in der gleichen Größenordnung, also etwa in der Größenordnung von 5%, weltweit jedes Jahr haben müssen.“ Nur auf diesem Weg könne man die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten. Wenn man allerdings die im Rahmen des Pariser Klimaabkommen durch jedes Land freiwillig angegebenen Reduktionswerte des Emissionsausstoßes zusammenrechne, so Latif, werde das 2 Grad-Ziel komplett verfehlt. Aus diesem Grund sei der European Green Deal so „unendlich wichtig, denn Europa kann hier wirklich ein Signal setzen, ein Signal für Zukunftsfähigkeit.“ Europa habe auch eine unglaubliche Chance, dadurch wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Die nächste industrielle Revolution hänge mit den erneuerbaren Energien, der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz zusammen. All dies brauche man für die Transformation der globalen Energiesysteme. Klimaschutz sei nicht wirtschaftsfeindlich, sondern der Innovationsmotor schlechthin.

Es folgten Alois Gerigs Erkenntnisse zur europäischen Agrarpolitik (GAP) im Zusammenhang mit den Klimaschutzzielen. Gerig lobte den u. a. durch Klöckner erzielten Systemwechsel, wodurch die europäische Landwirtschaft, wenn sie das Fördersystem der EU nutzen will, weit höhere ökologische Leistungen als bislang erbringen muss. Gerig plädierte für eine regionale Versorgung mit landwirtschaftlichen Lebensmitteln; dafür brauche es die Mitwirkung der Politik, der Verbraucher und des Handels. Daher sei die neue GAP ein sehr guter Anfang, „um die Landwirtschaften ein Stück weit auch aus dieser Defensive herauszunehmen […], weil Landwirtschaft ist für mich nicht nur Verursacher insbesondere, nämlich auch Problemlöser.“ Für Gerig sei die multifunktionale Landwirtschaft die Zukunft. Diese leiste Umwelt- und Insektenschutz genauso wie Lebensmittelproduktion und trage zur Energiewende durch erneuerbare Energien bei.

Zu Beginn ihres Vortrags zeigte Dr. Beatrix Tappeser auf, dass der deutschen Klimapolitik ein schlechtes Zeugnis ausgestellt werde. Um den dringenden Handlungsbedarf zu verdeutlichen, führte Tappeser Studien an, die die dramatische Situation abbilden. Demnach genüge es nicht, nur einzelne Komponenten der Agrarwirtschaft zu ändern. Es bedürfe eines gesamtgesellschaftlichen Wandels hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft, die biologische Vielfalt schützt. Tappeser schloss, dass unsere derzeitige Landwirtschaft Verursacher und gleichzeitig Leidtragende des Klimawandels sei, da sie von einem funktionierenden Ökosystem abhänge. „Aber sie kann auch Teil der Lösung sein und ich finde auf den Weg sollten wir uns weiter begeben.“ Ansätze wären der ökologische Landbau, Agroforstsysteme, Humuswirtschaft und die Agrophotovoltaik. Wesentlich sei eine Agrarpolitik, die die klimapolitischen Ziele ernst nehme, die Umweltleistungen der Landwirtschaft angemessen vergüte und nicht Flächenprämien ungeachtet ihrer Auswirkungen auf den Naturhaushalt zahle.

Der nächste Referent Prof. Dr. Sebastian Lakner hob hervor, dass durch Landnutzungsänderungen in der landwirtschaftlichen Produktion einiges richtig gemacht werden könne. Die quantitativ größten Minderungspotenziale von Treibhausgasemissionen lägen in absteigender Reihenfolge in folgenden Bereichen: Veränderung der Baumartenzusammensetzung, Schutz von Mooren, Reduzierung des Konsums tierischer Produkte, Lignocellulose aus landwirtschaftlicher Produktion, Erhöhung der stofflichen Nutzung von Holz, Verbesserung der N-Effizienz der Düngung. Lakner versuchte im Folgenden darzulegen, dass eine Extensivierung von Ackerland zu Feucht-Grünland sehr wichtig für die Reduktion von Treibhausgasemissionen wäre. Durch den Übergang von Ackerland zu Feucht-Grünland und Moor verlange man dem Praktiker viel ab, trotzdem gebe es aber Nutzungsoptionen von Moor. Der Green Deal sei ein Schritt in richtige Richtung, aber nicht umsetzbar, wenn die Agrarpolitik nicht mitzieht. Lakner zieht den Schluss zur GAP-Reform 2020: „Es ist kein Systemwechsel für mich erkennbar. Alles hängt im Grund genommen am guten Willen und am Engagement der Bundesländer und der Bundesregierung.“

Morten Kabell veranschaulichte zu Beginn seines Vortrags, wie wichtig es sei, den Schwerpunkt vom Autoverkehr in heutigen Städten auf das Fahrrad zu verlagern: Es käme zu einer Einsparung von 19,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, wenn die Deutschen, die mit dem Auto pendeln, auf das Fahrrad umsteigen würden. Kabell stellte dar, wie Kopenhagen, auf dem Weg, 2025 die erste klimaneutrale Stadt der Welt zu werden, seinen CO2-Ausstoß drastisch reduziert hatte. Diese Transportveränderungen hätten zu einer großen Kostenersparnis geführt. Laut einer Studie des Finanzministeriums Dänemarks, gewinnt die Gesellschaft für jeden Kilometer, der mit dem Fahrrad gefahren wird, 68 Cent, wohingegen, jeder Kilometer, der mit dem Auto gefahren wird, die Gesellschaft 78 Cent kostet. Dies hänge auch mit den Gesundheitskosten zusammen, da ein gesunder Lebensstil im Zusammenhang mit dem Fahrradfahren steht. Mit seinem Vergleich einer CO2-Emission von 158g/km eines Autos und von 0g/km eines Fahrrads, kam Kabell zu dem Schluss, dass „bicycles are the main mode of transport in the future.“

Die nächste Rednerin PD Dr. Jenny Preunkert legte dar, dass die EZB, mit dem Ziel die, Inflation bei 2 % zu halten, Wertpapiere – auch in Form von Unternehmensanleihen – aufkauft. Obwohl die EZB bei den Aufkäufen von Unternehmensanleihen der Marktneutralität verpflichtet sei, stellte Preunkert fest, dass bestimmte Unternehmen privilegiert werden, so dass das Kaufprogramm in den Markt eingreife und sich die Marktstruktur verfestige. Dabei handle es sich um die besonders intensiv energieverbrauchenden Unternehmen, die aber nur 18 % der Beschäftigten sowie nur einen Anteil von 30% in der Bruttowertschöpfungskette ausmachten. Deshalb schlug Preunkert vor, klimapolitische Überlegungen bei der Auswahl von Unternehmen mit einfließen zu lassen. „Marktneutralität ist eine soziale Konstruktion, mit der bestimmte gesellschaftliche Strukturen abgebildet werden.“ Man solle darüber diskutieren, mit welchen Indikatoren wir versuchen, den Markt abzubilden, denn „aktuell scheint es so, dass die Kriterien eher die bestehenden Strukturen verfestigen“. Preunkert plädierte in Bezug auf das Zusammenspiel zwischen der Klimadebatte und der Finanzpolitik dafür, die Auswahl der Indikatoren neu zu diskutieren.

Im Gespräch mit Prof. Dr. Martina Klärle betonte Martin Häusling, dass die Subventionen wenig mit den Klimazielen zu tun hätten. „Man kann schöne Worte wechseln, aber beim ersten Lackmus-Test, und das ist die Gemeinsame Agrarpolitik, fällt das ganze Ziel auf einmal hinten runter, weil sich da eine alte Lobby durchsetzt.“ Der Biodiversitätsverlust werde nicht gestoppt, wenn wir die Agrarpolitik weiter so betreiben. Zum Green Deal muss u. a. die Biodiversitätsstrategie gehören, denn „der Verlust der Biodiversität ist neben dem Klimawandel die zweite globale Bedrohung, die wir haben.“ Häusling schätzte die Biolandwirtschaft als ‚Landwirtschaft der Zukunft‘ ein. Die Ökolandwirtschaft und regionale Strukturen seien zu fördern. Dazu seien allerdings andere Ernährungskonzepte nötig. Für Häusling funktioniere der Green Deal für die Landwirtschaft in Zukunft durch eine bessere Vergabe von Subventionen. „Wir wollen die Landwirtschaft fördern, die umweltfreundlich arbeitet und da muss das Geld hingehen.“

Klärle zog das Fazit aus dem Symposium, dass es nun gelte, die Ansprüche zur unterschiedlichen Flächennutzung untereinander abzuwägen, um sowohl Energie- als auch Lebensmittelproduktion vor klimafreundlichem Hintergrund zu ermöglichen. „Der ökologische Landbau braucht etwas mehr Fläche – bisher. Durch die Unterstützung der Digitalisierung […] wird es uns, so mein Eindruck, sehr wohl gelingen, dass wir dort eine bessere Lebensmittelproduktion bekommen, ohne oder nur mit ganz wenig Einsatz von Pestiziden und auch ganz wenig zusätzlicher Düngung und Bewässerung.“

In den jeweiligen Q & A wurden Fragen gestellt nach dem Pariser Klimaabkommens, der Auswirkung auf den Klimaschutz durch den Spitzenwechsel in USA, der Definition von Wohlstand im Zusammenhang mit Klimaneutralität, Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit bei Unternehmen, Fahrradverkehr in Städten, den nach China ausgelagerten Produktionen, der Energiewende im Strom- und Wärmebereich, ökologischem Landbau, der Verschwendung von Lebensmitteln, EU-Subventionen für Großbetriebe und der Vision für den idealen landwirtschaftlichen Betrieb der Zukunft.

Eröffnung | 14:00

Begrüßung

Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich, Präsident Frankfurt University of Applied Sciences

Grußwort

Prof. Dr. Dr. Michel Friedman. Geschäftsführender Direktor Center for Applied European Studies

Eröffnung: Forschung und Wissenschaft für einen starken Europäischen Grünen Deal

Ayse Asar, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst

 

Keynote | 14:20 Uhr

Wo stehen wir mit der internationalen Klimaschutzpolitik?
Prof. Dr. Mojib Latif, Professor am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, Kiel

Fragen aus dem Publikum

 

Teil 1 | 15:05 Uhr

EU GAP nach 2020 – Gefährdet die zukünftige Gestaltung der europäischen Agrarpolitik die Klimaschutzziele?

Alois Gerig, MdB, Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (CDU)

Dr. Beatrix Tappeser, Mitglied im Bioökonomierat der Bundesregierung

Prof. Dr. sc. agr. Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock

Fragen aus dem Publikum

 

Teil 2 | 15:50 Uhr

Mobilität und Finanzpolitik im Spannungsfeld europäischer Klimagerechtigkeit

Morten Kabell, Co-CEO der European Cyclists‘ Federation und ehem. Umweltbürgermeister Kopenhagens

PD Dr. Jenny Preunkert, Institut für Soziologie, Universität Duisburg-Essen

Fragen aus dem Publikum

 

Teil 3 | 16:20 Uhr

Gespräch mit dem Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Martin Häusling, Ökolandwirt, MdEP für die GRÜNEN/EFA

 

Fazit und Ausblick | 16:50 Uhr

Effektiver Klimaschutz in der EU – Systemwechsel jetzt oder nie!
Prof. Dr. Martina Klärle, Professorin für Landmanagement an der Frankfurt University of Applied Sciences

 

17:00 Uhr

Ende der Veranstaltung
Diskussionsleitung: Prof. Dr. Martina Klärle
Moderation: Hanna Immich, hr-iNFO

 

 

Wissenschaft und Zivilgesellschaft warnen zunehmend vor den Folgen des Klimawandels und fordern politische Entscheidungsträger-/innen auf zu handeln. In einem Bericht zum COP25-Gipfel 2019 in Madrid veröffentlichten führende Forscher/-innen (Future Earth & the Earth League 2019) Ergebnisse, die belegen, dass Ziele wie sie etwa im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbart wurden, mit den bisherigen Bemühungen nicht erreicht werden können. Das Forschungsnetzwerk ist sich indes einig, dass es bereits bei 1°C erhöhter globaler Mitteltemperatur, zu einer Grenzüberschreitung komme, die unumkehrbare Umweltveränderungen mit sich bringen werde.

Mit der neuen Legislaturperiode der Europäischen Kommission kommt Bewegung in der europäischen Klimapolitik auf. Der „European Green Deal“ wird zur Priorität in der EU. Sein Vorsatz: Klimaneutralität bis 2050. Wird die EU in der Lage sein ihre ambitionierten Klima- und Energieziele zu erreichen?

Das Symposium wird einen Fokus auf europäische Städte und Landwirtschaft legen, die zugleich Verursacher und Leidtragende des globalen Klimawandels sind. Das Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Politikfeldern wie Klima-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik, sowie die Positionen verschiedener Interessensgruppen zu beleuchten, wird eines der Ziele der Veranstaltung sein. Das CAES Symposium „Europäische Klimapolitik – zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ soll Impulse setzen, wie Maßnahmen zum Klimaschutz in der EU gestaltet werden müssen. Klima- und Energieziele, Instrumente und Rechtsvorschriften sollen aus unterschiedlichen, auch konvergierenden, Blickwinkeln, von Expert/-innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft betrachtet werden.

 

 

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Vanessa Cascante CarballoAssistenz School of Personal Development and Education
CAES-TeamID: 8787
letzte Änderung: 24.06.2021