Koordinationsstelle "Hochschulen in Hessen: inklusiv!"
Trotz verstärkter Bemühungen bleiben Studierende mit Behinderung und chronischen Erkrankungen im Hochschulsystem von Exklusion bedroht. Die hessenweite Koordinationsstelle „Hochschulen in Hessen: inklusiv!“ setzt hier an, um langfristig und nachhaltig eine chancengleiche Teilhabe an Hochschulen zu gewährleisten.
Durch strukturelle Anpassungen, gezielte Maßnahmen und Zusammenarbeit arbeiten wir an einem inklusiven Umfeld, in dem alle Studierenden gleiche Chancen erhalten - vor, während und nach dem Studium.
Die Exklusion marginalisierter Menschen aus der Hochschule führt nicht zuletzt zu einem Verlust (behinderungsspezifischer) Expertise und Vielfalt in Wissenschaft und Forschung.
Die Daten der dritten bundesweiten Studierendenbefragung aus dem Sommersemester 2021 ermöglicht einen vertieften und quantitativen Blick in die Lebenslagen von Studierenden mit und ohne Behinderung.
Bestätigt werden diese außerdem vom Forschungsprojekt der Universität Kassel ErfolgInklusiv - „Studienerfolg bei Krankheit und Behinderung durch Nachteilsausgleich, Beratung, Gesundheitsförderung und Inklusion.”
Rund 73 % der Studierenden mit haben bereits Diskriminierungserfahrungen im Studium gemacht. Besonders stark trifft dies auf Studierende mit Mehrfachbeeinträchtigung zu, die häufiger von Ausgrenzung, stereotypisierender Behandlung und Herabsetzung ihrer Leistungen berichten.
92 % der Studierenden mit studienerschwerender Beeinträchtigung empfinden individuelle Anpassungen oder Nachteilsausgleiche, besonders im Bereich Prüfungen und Leistungsnachweise, als (sehr) hilfreich. Trotz dieser positiven Wirkung haben nur rund 21 % entsprechende Anträge gestellt, wobei die meisten im Bereich Prüfungen eingereicht und bewilligt wurden.
Ein großer Teil der Studierenden hat nur selten oder keinen Kontakt zu Mitstudierenden und Lehrenden: 59 % der Studierenden mit und 47 % ohne studienerschwerende Beeinträchtigung berichten von wenig Austausch. Zudem geben 34 % der Studierenden mit Beeinträchtigung an, bei Lehrenden Verständnis für ihre Situation zu finden, während 66 % dies eher nicht erleben (vgl. Steinkühler et.al 2023).
Die Koordinationsstelle fördert daher die Barrierefreiheit und Inklusion an hessischen Hochschulen gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention.
Ziel ist es, Expertise zu bündeln, Best-Practice-Beispiele zu sammeln und Handlungsbedarfe zu identifizieren und nachhaltig umzusetzen.
Gefördert wird sie zudem von der ehemaligen Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderung Frau Esser, dem aktuellen Beauftragten Herr Winkler und seiner Referentin Frau Ayse Oluk. Die interne Pressemitteilung zum Start der Koordinationsstelle finden Sie hier.
Vernetzung für Studierende und studentische Gremien
Einmal im Semester online
Vernetzung für Servicestellen und Beauftragte für die Belange von Studierenden mit Behinderungen
Einmal im Semester großes Netzwerktreffen für alle hessischen Akteure im Hochschulsystem
Jährliche Tagung
Kollegiale Fallberatung (alle 2 Monate)
AG Peergroup und studentische Selbstorganisationen
AG Ruheräume
Zentrale und relevante Begriffe in Bezug auf Behinderungen und Inklusion
Im Folgenden finden Sie Arbeitsbegriffe und Ansätze, die in der Auseinandersetzung mit Chancengleichheit relevant sind:
Auch wenn der Begriff der Inklusion oftmals in Bezug auf Menschen mit Behinderung verwendet wird, fasst er mehr zusammen: Inklusion meint, dass alle Menschen unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, sozioökonomischem Hintergrund, Behinderung, Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung oder anderen Kategorien bzw. Merkmalen gleichberechtigt an Bildung, Arbeit, Freizeit und anderen gesellschaftlichen Aktivitäten teilnehmen können. Die Beseitigung von Barrieren und die Partizipation von allen ist dabei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. (vgl. hierzu Hilpert/Meyer/Lindmeier 2020)
Ableismus bezeichnet eine Form der Diskriminierung, die Menschen aufgrund ihrer Behinderung abwertet. Der Begriff leitet sich vom englischen „to be able“ (fähig sein) ab. Mit der Endung „-ismus“ wird eine Ideologie verdeutlicht, die Menschen auf ihre Behinderung reduziert und sie dadurch herabsetzt. Diese Denkweise legt nahe, dass der menschliche Körper nur dann als wertvoll gilt, wenn er auf eine vorgeschriebene Weise funktioniert und leistungsfähig ist (vgl. Hutson 2010, S. 61f). Ableismus ist tief in unserer Gesellschaft verankert und betrifft alle Ebenen des Zusammenlebens. Es handelt sich nicht nur um eine Frage der Ignoranz oder negativer Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderung, sondern um eine grundlegende Denkweise über den Wert von Körpern und die vermeintliche Normalität (vgl. Campbell 2009, S. 5). Diese Diskriminierung tritt auf verschiedenen Ebenen (interpersonell, strukturell und intentionell) und auf und prägt somit alle Bereiche des Lebens und beeinflusst nicht zuletzt, wie Menschen mit Behinderung wahrgenommen und behandelt werden.
Intersektionalität beschreibt einen Ansatz, der verschiedene Differenzmerkmale wie Geschlecht, Alter, Sprache und weitere in ihrer „Verflechtung“ oder „Überschneidung“ (intersections) betrachtet (vgl. Walgenbach 2012, S. 1). Anstatt diese Merkmale isoliert zu betrachten, wird analysiert, wie sie zusammenwirken und dadurch spezifische Formen von Benachteiligung und Ungleichheit erzeugen. So zeigt Intersektionalität auf, dass Diskriminierungen nicht einfach addiert werden, sondern erst im Zusammenspiel der Merkmale besondere Barrieren und Auswirkungen auf soziale und gesellschaftliche Teilhabe entstehen. Dieser Ansatz hilft, komplexe Benachteiligungen, etwa im Zusammenhang mit Flucht, Migration oder Behinderung, besser zu verstehen (vgl. Westphal & Boga 2022).
Boga, Olezia (2023): Wie inklusiv ist die Hochschule wirklich? Behinderung und Barrieren im Hochschulkontext. IN: Besche, Julia; Sehmer, Julian; Wagner, Leonie (Hrsg.). Soziale Ungleichheiten und Hochschule. Eine Tagungsdokumentation. DOI: 10.48547/202309-001.
Campbell, Fiona Kumari (2009). Contours of Ableism. Houndmills. Basingstoke.
ErfolgInklusiv- „Studienerfolg bei Krankheit und Behinderung durch Nachteilsausgleich, Beratung, Gesundheitsförderung und Inklusion“.
Hilpert, Wolfram; Meyer, Dorothee; Lindmeier, Bettina (2020): Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Hutson, Christiane. (2010): Mehrdimensional verletzbar. Eine Schwarze Perspektive auf Verwobenheiten zwischen Ablesim und Sexismus. In: Jacob, J., Köbsell, S. & Wollrad, E. (2010) (Hrsg.), Gendering disability. Intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht. Bielefeld: Transcript. S. 61-72.
Steinkühler, Julia; Beuße, Mareike; Kroher, Martina; Gerdes, Frederike; Schwabe, Ulrike; Koopmann, Jonas; Becker, Karsten; Völk, Daniel; Schommer, Theresa; Erhardt, Marie-Christin; Isleib, Sören; Buchholz, Sandra (2023): Die Studierendenbefragung in Deutschland: best3. Studieren mit einen gesundheitlichen Beeinträchtigung. Herausgegeben von Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung GmbH (DZHW). Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung
Westphal, Manuela & Boga, Olezia (2022): „Ich könnte mit normalen Leuten leben“. Barrieren, Ressourcen und Wünsche an der Schnittstelle von Flucht, Migration und Behinderung. Kassel: university press.