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Online-Ringvorlesungsreihe: Gender und Nachhaltigkeit

am Gender und Frauenforschungszentrum der hessischen Hochschulen (gFFZ)

Spätestens seit ‚Fridays für Future’ ist Nachhaltigkeit als zentrale Entwicklungsaufgabe für die gesellschaftliche Zukunftssicherung öffentlich anerkannt. Parteien werben mit nachhaltigen Programmen, Unternehmen preisen ihren geringen ökologischen Fußbadruck an und alternative Energien werden ausgebaut, elektrische Autos gesponsert und Verbraucher*innen bemühen sich um nachhaltigen Konsum. Die Covid-19-Pandemie hat zudem die Risiken weltumspannenden Wirtschaftens und Reisens sowie die Dringlichkeit sozialer Ungleichheitsfragen noch einmal auf die Agenda gebracht. An vielen Stellen in Politik, Wirtschaft, Ernährung, Mobilität, Bildung und im Wohnungsbau passieren Vorstöße auf dem Weg zu sozial-ökologischer Nachhaltigkeit. Die öffentliche Debatte um Nachhaltigkeit wird bislang jedoch weitgehend geschlechtslos geführt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass Fragen menschlichen (Über-)Lebens auf dem Planeten Erde in Geschlechterverhältnisse eingebettet sind und folglich vor diesem Hintergrund betrachtet werden müssen. Die Ringvorlesung greift diese Perspektive auf und fragt danach, welche Rolle das Geschlecht nicht nur in der sozial-ökologischen Krise, sondern auch bei den Versuchen ihrer Bewältigung spielt.

Nach einem Auftakt im Wintersemester 2022/23 widmet sich die Reihe im Sommersemester 2023 dem Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Gender in der Wissenschaft. Im Fokus steht dabei die Frage, wie nachhaltige Entwicklungen in der Wissenschaft gelingen können und welche Rolle dabei Genderaspekte spielen. Neben der Wissensproduktion und deren Vermittlung in der akademischen Lehre werden etwa Aspekte der Academic Carework und ein sorgendes, verantwortungsvolles Miteinander von den Referent:innen aufgegriffen.

Zum Programm

Die Vorträge finden jeweils von 16:00-18:00 Uhr online statt.

Die Veranstaltung ist öffentlich. Bitte melden Sie sich verbindlich zu den jeweiligen Terminen an. Die Zugangsdaten für den virtuellen Konferenzraum schicken wir den angemeldeten Personen kurz vor der Veranstaltung zu.

Informationen zu den Einzelveranstaltungen

Dr. Lena Weber (Leibnitz-Institut für Sozialwissenschaften)

Dr. Lena Weber st seit März 2022 Teamleiterin des Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) bei GESIS. Zuvor war Dr. Lena Weber Vertretungsprofessorin für Bildungssoziologie an der Universität Paderborn sowie Postdok-Wissenschaftlerin im Wissenschaftskolleg „Data Society“ und der Allgemeinen Soziologie an der Universität Paderborn. Sie studierte Sozialwissenschaften und Soziologie, mit Schwerpunkten in Geschlechterforschung und Mediensoziologie an der JLU Gießen, Universität Bielefeld und an der Paris VII Denis-Diderot.

Kontakt: lena.weber@gesis.org

 

Kurzbeschreibung:

Die in den Sozialwissenschaften festgestellte Ökonomisierung von bisher nicht unter wirtschaftlichen Aspekten betrachteten gesellschaftlichen Bereichen, wie dem öffentlichen Sektor, hat auch weitreichend Einzug in die Wissenschaft gehalten. Dies zeigt sich insbesondere durch eine neue Governance (Steuerungspolitik) in der Wissenschaft, die das „Gießkannenprinzip“ in der Finanzierung, bei dem alle gleich viel bekommen haben, verabschiedet, und durch ein leistungsorientiertes Modell abgelöst hat. Das neue Leitbild einer wissenschaftlichen Einrichtung ist die „unternehmerische Universität“, die sich mit Schwerpunkten in Forschung und Lehre profiliert und sich im Wettbewerb durch „exzellente“ wissenschaftliche Leistungen positioniert. Aber was gilt als exzellente, wissenschaftliche Leistung und wie misst man Exzellenz? Wie können so wissenschaftliche Karrieren planbar und nachhaltig gefördert werden? Bisherige Parameter wissenschaftlichen outputs, wie Citation Indizes, impact factor, Drittmittelvolumen, englischsprachige Publikationen in Fachzeitschriften, scheinen sich an einem Idealbild einer wissenschaftlichen Disziplin zu orientieren, das andere Wissenschaften gleichzeitig abwertet bzw. benachteiligt. Ebenso stellt sich die Frage, wie es unter dem Vorzeichen von Wirtschaftlichkeit und Leistungsbemessung um die Gleichstellungspolitik bestellt ist? Müssen etablierte Programme und Maßnahmen der Gleichstellungspolitik dem Finanzdiktat weichen oder lassen sich Exzellenzwettbewerb und Gleichstellungsziele miteinander verbinden? Zu welchem Preis und unter welchen Bedingungen? Und wie nachhaltig sieht eine solche Verbindung aus?

Prof. Dr. Birgitt Blättel-Mink (Goethe Universität Frankfurt)

Birgit Blättel-Mink ist seit 2004 Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Industrie- und Organisationssoziologie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie ist Mitglied des Direktoriums des Cornelia Goethe Centrums für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse (CGC). Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Nachhaltige Entwicklung, Frauen an der Hochschule und Transdisziplinarität.

 

Kurzbeschreibung:

Der Hashtag IchBinHanna informiert über individuelle Lebensweisen, die sich hinter den Strukturen der neoliberalen Hochschule verbergen. Eva-Maria Troelenberg (2021) zufolge erfordern die Arbeitsbedingungen in der Hochschule die Performance einer Persona, oder einer Subjektivierungsweise, die „stets physisch und psychisch leistungsfähig [ist], nie außerwissenschaftlich verpflichtet (oder auch nur interessiert), sie wird nicht von sozialen oder kulturellen Differenzerfahrungen abgelenkt und ist wirtschaftlich unabhängig oder aber komplett anspruchslos“.[i] Zudem ist diese „Norm-Persona“ nicht geschlechtsindifferent, sondern werden männlich-hegemoniale Subjektivierungsweisen privilegiert. Zum Zweiten und damit verknüpft werden nicht nur Brüche und Widersprüche aus dem akademischen Idealtypus herausgeschrieben, sondern auch reproduktive Praktiken, akademische Sorgearbeit also, die nicht selten vom akademischen Mittelbau erbracht werden muss. All dies wird noch einmal virulenter, wenn man an die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, wie Klimawandel, militärische Interventionen, Flüchtlingsbewegungen oder Kritik an der Wissenschaft selbst denkt, die an den Hochschulen in Forschung und Lehre bearbeitet werden sollen. Es wird in diesem Vortrag darum gehen, die blinden Stellen der Sorgearbeit im akademischen Kontext zu identifizieren und zu konzeptualisieren um sodann Herausforderungen an eine Hochschule zu formulieren, die ihren prekarisierten – und vor allem ihren weiblichen - Mittelbau nicht mit „unsichtbaren“ Aufgaben überlastet, sondern wahrhaft integriert.

 

Dr. Mandy Singer-Brodowski (Freie Universität Berlin)

Dr. Mandy Singer-Brodowski hat an der Leuphana Universität Lüneburg promoviert und am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie als Referentin für Transformative Wissenschaft gewirkt. Sie war Gastprofessorin im Kontext des europäischen Hochschulverbundes UNA Europa und an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Aktuell koordiniert sie an der FU Berlin mehrere Forschungsprojekte. Ihre Schwerpunkte sind Transformatives Lernen, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Transformationsprozesse im Wissenschaftssystem.

Kurzbeschreibung:

Die Idee transformative Wissenschaft wurde als Konzept entwickelt, um die institutionellen Bedingungen der Wissensproduktion in der transdisziplinären und transformativen Nachhaltigkeitsforschung reflexiv in den Blick zu nehmen und Reformvorschläge zu deren Veränderung zu machen. Sozial-ökologische Transformationsprozesse sind jedoch selbst tief vergeschlechtlicht. Daher wird in dem Vortrag gefragt, inwiefern die Herausforderungen, Ausprägungen und Empfehlungen einer Wissenschaft für nachhaltige Entwicklung und einer Wissenschaft für Gendergerechtigkeit Ähnlichkeiten aufweisen und wo sich beide Diskurse befruchten können.

Dr. phil. Sarah Czerney und Dr. phil. Lena Eckert

Sarah Czerney,
Dr. phil., arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Gleichstellungsprojekt FEM POWER am Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg. Sie hat Europäische Medienkultur studiert und an der Goethe-Universität Frankfurt/M. promoviert. Neben der praktischen Gleichstellungsarbeit liegen ihre Schwerpunkte auf feministischer Theorie und Wissenschaftskritik, Mutterschaft und Wissenschaft sowie gleichberechtigter Eltern- und feministischer Mutterschaft.

Lena Eckert,
Dr. phil. ist akademische Mitarbeiterin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt Oder. Sie ist Genderwissenschaftlerin und wurde an der Universiteit Utrecht, NL promoviert. Sie forscht zu Macht- und Herrschaftsverhältnissen in Wissenschaft, Gesellschaft und Kunst. Sie ist zudem als Beraterin, Trainerin und Schreibcoach in den Bereichen Gender und Diversity tätig, https://lenaeckert.org/.

Das Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft vernetzt Mütter* und ihre Alliierten in der Wissenschaft. Es ist ein Forum für die strukturelle Veränderung des Wissenschaftsbetriebes um bessere Arbeitsbedingungen für alle zu schaffen und Fürsorge als zentrales Prinzip in Wissenschaft und Gesellschaft zu etablieren.
 

Kurzbeschreibung:

Der strukturelle Ausschluss von Frauen* und insbesondere von Müttern* aus der Wissenschaft hat sich durch die Pandemie verschärft. Dadurch steht zu befürchten, dass in Zukunft an Hochschulen ein Wissen generiert und vermittelt wird, das fundamentale und gewaltvolle Aussparungen haben wird und den hegemonialen Status quo verfestigt – wenn nicht vehement dagegen angegangen wird. Deshalb proklamieren wir einen maternal turn für die Wissenschaft. Diesen halten wir sowohl auf der strukturellen als auch auf der inhaltlichen Ebene für notwendig, damit eine aktive Förderung und Wertschätzung der Standpunkte und des Erfahrungswissens von Müttern der Wissenschaft nicht verloren geht. Der Beitrag von Müttern und Care-Arbeitenden zu Erkenntnisgewinn und Wissensgenerierung ist notwendig und nachhaltig unersetzlich. Mütterlichkeit wird damit zu einer Ressource und Kulturtechnik, so unsere These.

Zentrale WebredaktionID: 11491
letzte Änderung: 24.05.2023