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How to talk TIN*

IDAHOBITA* 2021: Gelungene Auftakt-Veranstaltungen zum Projekt „Trans*sensible Hochschule“

Mit zwei interaktiven Online-Workshops stellte die Stabsstelle Diversity am 17.05.21 das einjährige Projekt an der Frankfurt University of Applied Sciences vor. Ziel ist es, Angehörige der Hochschule für trans*, inter* und nichbinäre Personen zu sensibilisieren sowie ausschließende Strukturen in Verwaltungsabläufen und IT zu ändern.  Die Veranstaltungen boten einen ersten Einblick in die Thematik aus wissenschaftlicher und aus Betroffenenperspektive.

Welche Bedarfe und Erwartungen haben trans*, inter* und nichtbinäre* Personen als Mitarbeitende und Studierende an der Hochschule? Im Rahmen des IDAHOBITA 2021 (Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-,Trans- und Asexuellenfeindlichkeit) sammelten fast achtzig bzw. mehr als fünfzig Angehörige der Hochschule in zwei interaktiven Workshops Eindrücke darüber, wie faires und respektvolles Verhalten aussehen kann. Den didaktischen Rahmen gestaltete der Vorurteilsforscher Ulrich Klocke von der Humboldt-Uni zu Berlin und gab zum Schluss Informationen zur Bekämpfung von Diskriminierung. In Impulsvorträgen gaben Dana Diezemann für Führungskräfte und Mitarbeitende und Jenny Wilken von der dgti e.V. für Lehrende und Studierende Einblick in Situationen am Arbeitsplatz oder im Studium, die sie vor, während und nach ihrem Coming Out als Trans* Person erlebt haben. Ungewöhnliche Belastungen, die sie darum gemeistert haben, weil sie sich auf ihren Humor, ihre Gelassenheit und einige unterstützende Mitmenschen verlassen konnten. 

Viele Perspektiven, viele Emotionen, faire Debatte

Es ging darum, in Teilnehmendenkreisen (mindestens) zwei Perspektiven aneinander anzunähern: Erstens, die Perspektive von trans*, inter* und nichtbinären* Menschen (TIN*) auf ihre Kämpfe um Anerkennung ihrer Rechte und um ein sicheres und glückliches Leben als die Person, die sie sind. Zweitens, die Perspektive von nichtbetroffenen Menschen, denen die Thematik wenig vertraut ist. Und – so zeigte sich – drittens die Perspektive von Menschen, die als Angehörige ihr Bild von scheinbar vertrauten Mitmenschen revidieren mussten: „Inzwischen ist mein Kind ein Bub, und wir verstehen uns gut. Aber anders als er denke ich gern an die Jahre mit meinem kleinen Mädchen.“ Dass eine Person aus der Hochschule diese persönliche Bemerkung geäußert hat, lässt ahnen, wie sehr das Thema auch Angehörige emotional umtreibt. Umso wichtiger, wenn der Arbeitsplatz ein Ort ist, an dem offenes Reden kein Risiko darstellt. Die Referent*innen konnten dafür an diesem Tag einen vertrauensvollen Rahmen schaffen. Und es zeigte sich, dass die Perspektiven sich annähern lassen, weil die Anwesenden Offenheit und Bereitschaft einbrachten und sich alle im respektvollen Diskurs geübt haben, fragend, antwortend, argumentierend, manchmal auch provokativ, aber nicht verletzend. Zentral war diese Bitte von Dana Diezemann: „Respektiert die von mir gewünschte Anredeform.“

Entwicklung - Mut - den eigenen Weg finden

Erster Schritt der Teilnehmenden für die Annährung der Perspektiven war: sich einlassen auf die andere Perspektive. Verstehen, dass es für die betroffenen Personen oftmals viel Zeit in Anspruch nehmen kann, um herauszufinden, dass sie sich im ihnen zugeschriebenen Geschlecht nicht wohlfühlen. Oder dass viele dies schon als Grundschulkind ahnen, es aber aus Angst vor den Reaktionen der Umwelt oder aus Scham für sich behalten. Dass es Mut braucht, sich die Notwendigkeit einzugestehen, das empfundene eigene Geschlecht offen zu leben. Dass das Verzichten auf dieses Bedürfnis depressiv machen kann. Dass die Umwelt sehr aggressiv einfordert, geltende Geschlechternormen einzuhalten. Eine Botschaft, die mit Anstarren übermittelt wird, mit Sticheleien, Drohungen, auch körperlicher Gewalt. Mit Ausgrenzung oder Mobbing in Schule, Ausbildung, Studium. Mit dem Entzug von Vertrauen, anspruchsvollen Aufgaben und Entwicklungsmöglichkeiten an der Arbeitsstelle. Nach Jobverlust gelten TIN*Personen als schwer vermittelbar, trotz bester Leistungen und Qualifikationen. Das Coming Out kann Botschaften und Situationen provozieren, die auch Ehe und Familienangehörige belasten und oft genug zu Scheidung und Kontaktabbrüchen führen.

Deutlich wurde: Solche Konsequenzen nimmt niemand aus einer willkürlichen Laune heraus in Kauf.

Interaktive Methoden und konkret erlebte Situationen

An diese Botschaften der Referent*innen führte Dr. Ulrich Klocke die Teilnehmenden mit interaktiven Elementen heran: Mit Umfragen zu Bezeichnungen und Definitionen, mit der Schilderung kritischer Situationen, die in Kleingruppen besprochen wurden, und mit Diskussion der Lösungsideen im Plenum. So gab es wohlüberlegte Anreize zur aktiven Auseinandersetzung und zu lebendigem Austausch. Das Publikum stellte Fragen und bekam ein Feedback, welche Fragen und Themen lästig und übergriffig sind für TIN*Personen.

Die Teilnehmenden engagierten sich, und es wurde deutlich: es geht um unser Arbeitsklima in Abteilungen und Fachbereichen, unser Lehr- und Lernklima in Seminaren, Laboren und studentischen Teams, um die Qualität unserer Services für Studierende, Lehrende, Mitarbeitende. Es gab Debatten in den Kleingruppen, und im Plenum: „Ich möchte als Dozent von meinen Studis mit Herr und Nachname angeschrieben werden. ‚Hallo Vorname Nachname‘ ist für mich respektlos!“ – „Mich nervt es aber, wenn ich mit Frau und Nachname angeschrieben werde!“ kam es im Chat von einer anderen Lehrperson.

Wie verhalte ich mich passend und respektvoll? Wie gehe ich mit meinen Fragen und Unsicherheiten um? Werden meine Worte auf die Goldwaage gelegt, wenn ich etwas falsch sage? Letztlich geht es nicht (allein) um Worte, sondern um die Haltung, aus der jemand spricht und handelt. „Er heißt jetzt Dana!“ ist nicht witzig, vor allem nicht in der dritten Wiederholung. Jeder Mensch jeden Geschlechts spürt sehr schnell, ob man ihn respektiert und ernst nimmt oder ablehnt und verachtet. Mit zugewandter Akzeptanz ist das Einüben und Fehlermachen auf dem Weg zu einer trans*sensiblen Hochschule bei aller Unsicherheit über das „wie sag ich’s richtig?“ kein Problem. Fragen nach der gewünschten Anrede sind erlaubt. 

Wirkung und Evaluation

Dass viele Teilnehmende volle drei Stunden dabei blieben, und sogar eine halbe Stunde „nach Sendeschluss“ immer noch Fragen stellten und diskutierten, spricht für die Offenheit, die das Publikum mitbrachte. Es spricht aber auch für die Substanz der Vorträge und der Antworten, die von den Referierenden angeboten wurden. Es war genug Zeit vorhanden, um gemeinsam zu überlegen, wie ich nonverbal dem stieren Blick begegnen kann, den ein*e Passagier*in im Bus in eine nichtbinäre Person im Bus bohrt. „Ich habe mich zwischen die starrende und die angestarrte Person gestellt.“ Und von der referierenden Person zu hören: „Das ist aktives Eintreten für eine nonverbal angegriffene Person. So etwas würde ich sehr gern auch mal erleben.“

Die Evaluation der Veranstaltung fiel mit einem Mittelwert bei 2,1 bzw. 2,2 gut aus. Die persönlichen Lebensberichte der Referent*innen wurden sehr positiv bewertet. Kritisiert wurde, dass die Begriffserläuterungen zu trans*, inter* und nichtbinär* zu kurz kamen. Einige Teilnehmende hätten sich mehr Informationen zur Vorbereitung vorab gewünscht, andere verlangten nach noch mehr Informationen. "Wie spreche ich denn jetzt TIN*?, also: wie vermeide ich Fettnäpfe?" Große Unsicherheiten hierzu wurden nach wie vor geäußert.

Auftakt und weitere Schritte auf dem Weg zu einer trans*sensiblen Hochschule

Diese beiden Veranstaltungen am IDAHOBITA im Mai sind ein Auftakt: Das Projekt Trans*sensible Hochschule zielt auf die Veränderung von Strukturen. Damit das gelingen kann, braucht es Menschen, die verstehen, warum das nötig ist, die fachkundig diese Veränderung mit entwickeln und die sich daran beteiligen, die Veränderungen umzusetzen, beizubehalten und weiterzuentwickeln.

In Vorbereitung ist jetzt eine Richtlinie der Hochschulleitung zur möglichst niedrigschwelligen Namens- und Personenstandsänderung. Dafür werden rechtliche Fragen geklärt, und daraus folgend müssen Formulare, IT-Systeme und Datenbanken verändert, das Corporate Wording angepasst, ausreichend All-Gender-Toiletten eingerichtet werden. Konkrete Reaktion auf die geäußerten Unsicherheiten zu einer fairen Sprache ist u.a. ein Impulsvortrag am 15.7. für die Mitarbeitenden der Abt. CIT, mit dem Titel "Inklusive Kommunikation. Fokus: Gendergerechte Sprech- und Schreibweisen". Bei Bedarf können dem praktische Übungen folgen. Speziell für Menschen mit beratenden Tätigkeiten findet am 12.7.2021 eine Veranstaltung statt. Sie haben Interesse an diesen Angeboten? Gerne können Sie sich hier melden.

Kontakt

Dr.
Vera Jost
Referentin Diversity
Gebäude Kinderhaus – Geb. 6, Raum 212
Zentrale WebredaktionID: 9901
letzte Änderung: 30.05.2022