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„Die Ehrlichkeit und Nachhaltigkeit versuche ich in meine Lehre einfließen zu lassen – ohne Holzhammer. Bei den jungen Leuten kommt das an.“

Prof. Dipl.-Ing. Holger Marschner

ZIELE IM FOKUS

Nicht alles, was als schlecht gilt, ist wirklich schlecht

In der Nutzung von Mobilitätskonzepten gilt es abzuwägen

Herr Prof. Marschner, was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?
Nachhaltigkeit ist für mich das Bestreben, die Erde eines Tages zumindest nicht in einem schlechteren Zustand zu verlassen als in jenem, in dem ich sie vorgefunden habe, sondern eher in einem besseren. Was vor allem nicht geht ist, dass wir die fossilen Brennstoffe, die über Jahrmillionen entstanden sind, binnen kürzester Zeit verpulvern. Es geht um einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen.

Um was geht es noch? Denn Nachhaltigkeit hat neben der ökologischen auch eine ökonomische und soziale Dimension.
Es geht natürlich auch darum, die richtige Balance zu finden zwischen den ökonomischen und sozialen Belangen. Ich denke an Zielkonflikte zwischen wirtschaftlichen Interessen und ethisch-moralischen Aspekten. Hier sind Fragen nach Rohstoffen für die E-Mobilität ebenso zu beantworten wie eine faire Behandlung und Bezahlung aller Player. Wir reden über weltweite Probleme, die sich nur global lösen lassen. Aber jeder kann vor seiner eigenen Haustür kehren und die Welt ein bisschen besser machen.

Wo beginnt der verantwortungsvolle Umgang – sagen wir, mit der Umwelt und den natürlichen Ressourcen?
Indem wir ehrlich und ganzheitlich denken und handeln. Nicht alles, was als schlecht gilt, ist wirklich so schlecht wie man denkt, und nicht alles, was als gut gilt, ist wirklich nachhaltig gut. Nehmen wir den Hype, der um die E-Mobilität gemacht wird. Die E-Mobilität hat ihre Berechtigung, aber auch der gute alte Diesel bzw. der Verbrenner haben sie noch. Die oberste Devise sollte das Energiesparen sein. Es macht keinen Sinn, mit einem schweren SUV in die Stadt zu fahren, zumal dort der Platz begrenzt ist. Und es macht erst recht keinen Sinn, solch ein Auto von zwei bis drei Tonnen zu elektrifizieren. Auch ein Biodiesel oder Biogas konsumierender Verbrenner kann auf der Straße im richtigen Einsatz zum Gütertransport oder im Omnibus unschlagbar sein. Der Diesel ist nicht so schlimm, wie man über ihn redet. Und der Abgas-Skandal ist kein Diesel-Skandal. Da kann der Rudolf Diesel nichts dafür. Sondern der Abgasskandal ist ein Betrugsskandal.

Verlangt ein verantwortungsvoller Umgang mit der Umwelt auch, uns einzuschränken?
Wir sollten auch lieb gewonnene Gewohnheiten und Dinge hinterfragen und je nach Ergebnis der Prüfung aufgeben. Früher sind wir auch mit Fahrzeugen, die 18 bis 34 PS hatten, wenn ich an den Fiat 500 und an den Käfer denke, in die Stadt und zurück gefahren. Dafür braucht man keine 300 PS und mehr, die wir obendrein noch elektrifizieren. Energiesparen heißt beim Verbrenner zum Beispiel auch Downsizing und mithin den Abschied vom Sechs- oder Achtzylinder. Über Jahre haben wir uns alle möglichen Wünsche erfüllt, und nun erfüllen wir sie uns eben noch etwas grüner: So wird es aber nicht gehen. Das ist zunächst eine Einschränkung, aber ob sie uns unglücklich macht, liegt an uns selbst.

Ist die Bereitschaft zum Umdenken, zum Setzen anderer Prioritäten in der Gesellschaft vorhanden?
Das frage ich mich auch. Es gehört zum Beispiel auch dazu, Windkraftanlagen und die Leitungen zu akzeptieren, die den Strom transportieren. Ich weiß nicht, was man gegen eine Windkraftanlage haben kann. Wir erforschen derzeit auch die Schallabstrahlung solcher Anlagen. Aber ich weiß es noch nicht. Ansonsten sehe ich durchaus erfreuliche Beiträge für ein nachhaltigeres Leben: Es gibt zunehmend mehr Fahrradwege und mittlerweile sind ganze Familien auch zum Einkaufen auf dem Fahrrad unterwegs. Lastenfahrräder mit 250 Watt Antriebsleistung sind die modernen City-SUVs, und sie bewahren die Individualmobilität.

Haben Sie Ihr Leben nachhaltig umgestellt?
Ich habe mir zum Beispiel vor fünf Jahren ein E-Bike gekauft und fahre damit jeden Tag zur Hochschule. In diesen fünf Jahren bin ich 15.000 Kilometer gefahren und habe damit 20.000 Autokilometer gespart, denn mit dem Rad nehme ich einen kürzeren Weg, den ich mit dem Auto nicht wählen könnte. Das zeigt: Wir brauchen nicht ständig noch mehr Leistung, um von A nach B zu kommen, und es macht obendrein Spaß mit dem E-Bike, ganz besonders, wenn ich auf einer Brücke fahre und unten ist Stau.

Sehen Sie sich als Hochschullehrer herausgefordert, die Idee der Nachhaltigkeit zu vertiefen und zu verbreiten?
All die Themen, die ich hier angesprochen habe, auch die Bereitschaft zu Ehrlichkeit und Nachdenklichkeit, versuche ich in meine Lehre einfließen zu lassen. Ohne Holzhammer. Und bei den jungen Leuten kommt das an oder vielmehr: Es ist schon da. Und dann befasse ich mich auch mit Forschung. Zum Beispiel damit, ein Müllfahrzeug, das mich schon als kleines Kind fasziniert hat, ökologisch und ökonomisch zu verbessern. Ein ausschließlich von einem Verbrenner angetriebenes Müllauto ist nämlich ökologisch und ökonomisch das Extremste, was es gibt. Das Müllauto stoppt so häufig und steht dann dort mit seinem laut laufenden Motor, der all die hydraulischen Systeme antreiben muss – da ist ja schon ein Linienbus in der Stadt ein Langstreckenfahrzeug dagegen. Es ist also besonders sinnvoll, beim Müllauto nach sauberen, leisen Alternativen zu suchen. Hier kann die Elektrifizierung sinnvoll sein.

Forschen Sie auch mit den Studierenden?
Ja, zum Beispiel an der Verbesserung des Müllautos oder an der Reduzierung von Straßenlärm. Ich gebe entsprechende Bachelor- und Master-, aber auch Promotionsthemen aus. So tue ich etwas Gutes für die Forschung, die Umwelt und den Menschen.

Wie wird eine Hochschule nachhaltig nachhaltig?
Indem wir an der Hochschule die Studierenden motivieren, Verbesserungen für den Alltag zu entwickeln wie Kleinstfahrzeuge, alternative Antriebe und E-Fahrzeuge und indem wir die jungen Leute motivieren, diese Motivation und das Handwerkszeug, das sie bei uns erlernt haben, mitzunehmen. Indem wir das, was wir lehren, in unseren Laboren anwenden und vorleben. Die Hälfte der Zeit des Masterstudiums arbeitet ein Student an eigenen Projekten, das kann auch in der Forschung sein. In Frankfurt haben wir das Glück, Studierende aus über 100 Nationen auszubilden und entsprechende internationale Grundsteine legen zu können.

Erhalten Sie für Ihr Engagement öffentliche Anerkennung?
Ja, 2017 habe ich für eine Untersuchung zu den Wirkmechanismen selbsterregter Schwingungen den Publikationspreis der Frankfurter Stiftung für Forschung und Bildung erhalten. An dieser Veröffentlichung waren auch drei Studierende als Co-Autoren beteiligt, und es freut mich, dass sie ein derartiges Qualitätsmerkmal in ihre Bewerbungsunterlagen aufnehmen konnten.

Aus einem kleinen Forschungsprojekt wurde eine viel beachtete Ausgründung. Mit der Elektrifizierung des Antriebs werden die Fahrzeuge leiser. Aber wenn kein Motor mehr all die Geräusche und Vibrationen des Fahrzeugs überdeckt, die nicht vom Verbrenner stammen, dann fallen diese auf. Also befassen wir uns mit dem Thema Noise, Vibration, Harshness. Ein Team hat eine Datenbrille entwickelt, die den Schall, die Störgeräusche und ihre Quelle, sichtbar macht. Dafür hat das Team den Ideenwettbewerb 2018 der Frankfurt UAS gewonnen, dann das Hessen-Ideen-Gründungsstipendium erhalten und nun für einen Förderzeitraum von einem Jahr das EXIST-Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.

Was ist aus Ihrer Sicht wichtiger, wenn es um die Durchsetzung von Nachhaltigkeit geht: die technische Lösung oder der Umgang mit der Technik?
Mit der Frage haben Sie schon recht, denn technische Lösungen gibt es häufig genug. Es kommt auf den Umgang mit der Lösung an, ihre Bewertung und Auswahl. Mich persönlich macht es schon glücklich, wenn ich merke, dass meine Lehre auf fruchtbaren Boden fällt und von motivierten jungen Leuten aufgegriffen wird.

M. RingwaldID: 10018
letzte Änderung: 21.06.2022