Innovationsvorhaben
EGONET
In seinem Innovationsprojekt EGONET (Experimental Governance for Climate-Neutral Cities) verfolgt Timo von Wirth drei Ziele. Er möchte:
- ein neues Lehr-Lernmodul zu Experimenteller Governance für die Lehre vor Ort und den digitalen U!REKA-Campus entwickeln
- einen europäischen Forschungsantrag mit den U!REKA-Partnerhochschulen einreichen
- passgenaue Beiträge für das U!REKA Center of Expertise Innovative Governance and Citizen Engagement leisten
Um einen Beitrag zu mehr Klimaneutralität in Städten zu leisten, erforscht er neue Herangehensweisen an Regeln, Entscheidungen und die Steuerung des Gemeinwohls. Diese Governance-Methoden gelten als Soziale Innovationen und umfassen z.B. temporäre Straßenexperimente um eine sicherere und gerechtere Raumnutzung in Städten zu erproben, Testfelder für autonomes Fahren oder Reallabore für urbane Kreislaufwirtschaft. Zudem eignen sie sich, um gemeinsam mit Praxispartnern und der Zivilgesellschaft neue Gestaltungsansätze zu erlernen und langwierige Planungsprozesse zu beschleunigen.
Im Gespräch mit Prof. Dr. Timo von Wirth
Timo, um was geht es in deiner Innovationsprofessur?
Die Gesellschaft tut sich schwer, kollektive Herausforderungen, wie z.B. Maßnahmen für den Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel zu regeln. Seit einigen Jahren rückt vermehrt in den Fokus, wie wir Maßnahmen vor Ort rascher erproben können, und damit lernen, welche Ansätze besser oder weniger gut geeignet sind. Das ist die Idee der experimentellen Governance, die sich auf alle wichtigen Sektoren wie etwa den Mobilitäts-, Energie- oder Agrarsektor anwenden lässt.
Veränderungen vor Ort können Menschen verunsichern und stoßen auf starke Beharrungskräfte und oftmals emotional aufgeladenen Widerstand gegen Veränderung. Diese Dynamiken erhalten bei temporären Erprobungen einen Ort, um thematisiert zu werden. Die experimentelle Governance hat, wenn sie gut durchgeführt wird, das Potenzial gemeinsam Zukunft zu erproben, Planung zu beschleunigen und Demokratie zu stärken. Aus wissenschaftlicher Sicht müssen wir aber die verschiedenen Ansätze besser evaluieren und verstehen. Dazu soll mein Projekt EGONET beitragen.
Was machst du konkret während der kommenden zwei Jahre?
Erstens möchte ich gemeinsam mit unseren U!REKA-Partnern europaweit neue Forschungsprojekte und Fallstudien anschieben. Mit diesen Studien wollen wir untersuchen, wie Planungen und demokratische Entscheidungsprozesse mit Experimenten ergänzt werden können. Manche Länder in Europa sind uns in der Flexibiltät von Governance und der Etablierung solcher Erprobungsformen voraus. Da macht es Sinn, diese Herangehensweisen europaweit vertieft zu untersuchen, um voneinander zu lernen. Das U!REKA Centre of Expertise Innovative Governance and Citizen Engagement beschäftigt sich mit der Frage, wie man z.B. neue Governanceansätze hin zu einer Kultur des Experimentierens entwickeln kann.
Zweitens möchte ich das Thema besser in der Lehre verankern. Für die Studierenden ist es spannend, anhand von aktuellen Forschungsthemen mit konkretem Praxisbezug zu lernen. Sie können in die temporären Erprobungen bzw. in die wissenschaftliche Evaluation solcher Herangehensweisen eingebunden werden, indem sie methodisch fundierte Beobachtungen, Befragungen und Messungen durchführen. Sie lernen dabei wie gesellschaftliche Veränderungen im Kleinen funktionieren (oder eben nicht), und wie komplex Planungs-, Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse in der Realität sein können.
Was ist das Ziel deiner Innovationsprofessur?
Erstens möchte ich ein neues Lehrmodul zu experimenteller Governance entwickeln, das man bei uns an der Hochschule sowie hybrid an den U!REKA-Partnerhochschulen unterrichten kann. Ich werde dazu im November 2025 eine Pilotveranstaltung mit der Amsterdam UAS für Studierende aus Frankfurt und Amsterdam durchführen.
Zweitens erhoffe ich mir durch das Center of Expertise, dass wir uns international zu Fragen der Governance für Nachhaltigkeit austauschen und vernetzen und gemeinsame Lernprozesse stärken.
Und drittens möchte ich mit europäischen Partnern einen gemeinsamen Forschungsantrag schreiben, der die systematische Evaluation mit konkreten Beispielen aus verschiedenen europäischen Ländern thematisiert.
Du hast als symbolischen Gegenstand für dein Projekt diese drei Workshop-Zettel mit den Worten „Experimental Governance. So what?!“ mitgebracht. Warum?
Erprobungsräume wie Straßenexperimente oder Reallabore für Nachhaltigkeit sind in den vergangenen zehn Jahr quasi “in Mode gekommen”. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es aber wichtig, kritisch zu bleiben, und diese Idee der Experimentellen Governance weiter zu begleiten. Wir müssen besser verstehen, was sie als neue lokale “Denk-, Handlungs- und Demokratieräume”, etwa als Teil einer aktuell diskutierten Staatsreform beitragen können. Es wurde ja bereits ein Reallaborgesetz auf Bundesebene entwickelt, und es bestehen bereits vereinzelt Experimentierklauseln in manchen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften. Aber auch dazu gilt: “So what?”, was bringen sie für wen in der Praxis und wie lassen sich diese Ansätze weiterentwickeln?
Wie gestaltest du die internationale Dimension deiner Innovationsprofessur?
Wir sollten europaweit vergleichen und besser verstehen, was in anderen Ländern bereits geschieht. In den Niederlanden ist die experimentelle Governance schon stärker etabliert. Forschung und Innovation sind international zu denken, und bei den U!REKA Research Days sind bereits konkrete Kontakte mit Kolleg*innen in Amsterdam, Gent und Helsinki entstanden. Es ist mir ein großes Anliegen, internationale Netzwerke für unsere Hochschule in Forschung und Lehre zu stärken.
Welchen Beitrag kann dein Projekt in unserer krisenhaften Zeit leisten?
Wir erleben aktuell, dass Fragen der Nachhaltigkeit politisch marginalisiert werden, obwohl es rechtlich bindende Vorgaben gibt. Das führt zu zusätzlichen Lasten und höheren Kosten. Ich halte daher die Frage von Reformen in der Governance für wichtig: Wie werden die gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure handlungsfähiger und agiler in ihrer verbindlichen Zukunftsgestaltung?
Dazu kann experimentelle Governance einen Beitrag leisten. Solche Experimente lokal und mit zivilgesellschaftlicher oder privatwirtschaftlicher Beteiligung aufzugleisen, kann einen Demokratie-stärkenden Effekt haben. Denn gut gemachte Reallabore oder urbane Experimentierzonen, in denen Bürger*innen mitmachen, ermöglichen das Erleben von Selbstwirksamkeit. Allerdings braucht man einen guten Beteiligungsprozess. Dazu gehören u.a. ehrliche Ko-Kreation, Agieren auf Augenhöhe und transparente Hinweise auf Machtfragen und Limitierungen der Verfahren.
Welche persönliche Bedeutung hat das Projekt für dich?
Dieses Thema ist spannend, und die Innovationsprofessur erlaubt mir Freiräume für die strategische Entwicklung von Lehre und Forschung. Es ist mir ein echtes Anliegen, neue Möglichkeiten zu identifizieren, wie wir nachhaltiger in unseren Städten zusammenleben und gesellschaftlich mit bestehenden Konfliktlinien zu drängenden Veränderungen umgehen können. Dazu ist es aus wissenschaftlicher Sicht wichtig, neue Teilhabe- und Mitgestaltungsmöglichkeiten für verschiedene gesellschaftliche Akteure in ihren Wirkungen zu verstehen. Ich bin überzeugt: Experimente können gesellschaftlich nützlich sein, aber die Evaluation steckt noch in den Kinderschuhen.
Vielen Dank für das Interview!